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reihen, fo entstehen die fogenannten Interdental-laute. Der tonlofe ist das scharfe englische th, wie in both, think etc. (Bei Deutschen, welche eine etwas zu lange Zunge haben, geht der Laut des B zuweilen fast ganz in das lispelnde englische th über). Der entsprechende intonirte Laut ist das weiche th, wenn difes nicht, wie es von den Meisten geschiht, marginal, fondern interdental gesprochen wird.

Ein Unterschid zwischen apicaler und dorfaler Bildung ist bei den Interdentallauten zwar auch möglich, doch kommt die dorfale wol nicht leicht vor.

5) Geht die Zungenspitze von dem Alveolarrande des Oberkiefers weiter rückwärts, fo dass fie fich gegen das obere Dach des harten Gaumens richtet, wärend fich die Seitenränder der Zunge den oberen Backzänen nähern, fo bilden fich die fogenannten Cerebrallaute, die ich hier von einer näheren Betrachtung ausschließe, da fie für uns für den Augenblick nicht weiter von Einfluss find.

So haben wir, abgefehen von der dorfalen oder apicalen Bildung, welche durch die Schrift nicht befonders bezeichnet wird, und von den Cerebrallauten, vier tonlofe s-laute kennen gelernt, nemlich

s, c, B, th;

an der einen Grenze steht unfer gewönliches s, an der andern das englische th, zwischen beiden ligen ç und B, fo dass fich jenes mer dem s, difes mer dem th nähert.

Von intonirten Lauten können wir uns auf die Unterscheidung von drei beschränken, nemlich

f, z, th.

A. J. Ellis fagt über die s-laute: „A series of hisses may be found by inserting the tongue between the teeth, or placing it against the back of the front of teeth, at different height, or with the upper or under side of the tongue against the teeth. None of these hisses will differ very considerably from the rest."

Dass dife verschidenen Laute in irer phyfiologischen Bildung wol unterschiden werden können, geht klar aus dem Obigen hervor; wie weit aber das einzelne Or fie von einander zu unterscheiden vermag, das hängt von der Organisation und der Uebung des Einzelnen ab und es lässt fich das bekannte Sprichwort: dass fich über Geschmack und Farben nicht gut disputiren lasse, bis zu einem gewissen Grade auch auf die Klänge und namentlich auch auf die Sprachlaute ausdenen. Es gibt da fo manche Unterschide, welche leichter bei der Production gefült, als durch das Or herausgehört werden. Schließen wir die uns fremden Laute aus, fo bleiben die 3 deutschen Laute

übrig.

s, B, I

Ob nun aber der Einzelne die s-laute dorfal oder apical bildet, das scheint teils von der Gewonheit, teils vom organischen Bau der Zunge und der Zäne abzuhängen.

Geschwister, welche unter ganz gleichen Verhältnissen erzogen werden, pflegen in der Sprache fo vil Uebereinstimmendes zu haben, dass man fie oft danach nicht unterscheiden kann. Dennoch ist mir der Fall vorgekommen, dass von vier Geschwistern zwei das s (z. B. im englischen Worte hiss) apical und zwei dorfal sprachen.

Welche Bildungsweife eigentlich als die normale zu betrachten fei, darüber find die Stimmen ebenfalls geteilt. Ich glaube jedoch die apicale als folche bezeichnen zu müssen, weil bei difer die Unterscheidungen der einzelnen Laute vil schärfer und bestimmter hervortreten als bei der dorfalen.

Es tritt nun, nachdem wir die verschidenen s-laute phyfiologisch festgestellt haben, für unfere deutsche Sprachlere noch eine eigentümliche Frage auf. In der lebendigen Sprache wirken nemlich häufig benachbarte Laute auf einander ein, üben eine gewisse Attraction und Repulfion auf einander aus, und es erfolgen dadurch in den Sprachen oft gewisse lautliche Umwandlungen, deren Gesetze zu erforschen eine der wichtigsten Aufgaben der Sprachforschung ist.

Für die S-laute hat nun im Neuhochdeutschen, warscheinlich etwa feit Anfang des 15. Jahrhunderts, teilweise felbst noch früher, eine eigentümliche Einwirkung des Vocales stattgefunden, welche im Alt- und Mittelhochdeutschen noch nicht herschte, indem fich das Gesetz geltend gemacht hat, dass nach geschärftem Vocal (nicht nach gedentem) fich das marginale Bin alveolares s verwandelt hat. Das Ahd. und Mhd. schrib und sprach wa33er = waßßer mit doppeltem Marginallaute; das Nhd. schreibt und spricht Wasser mit doppeltem Alveolarlaut, fich vollständig reimend auf passer, wärend ein folcher Reim im reinen Mhd. unzulässig war.

Der phyfiologische Grund difer Veränderung scheint darin zu ligen, dass wir bei den kurzen, geschärften Vocalen den Mund nicht so weit und bestimmt öffnen, wie bei den gedenten, und dass nach geschärften Vocalen die Organe länger in der Lage des Confonanten verharren, wodurch auf letzteren ein größerer Nachdruck gelegt wird als nach gedentem Vocal, was wir nach unseren orthographischen Principien fer bezeichnend dadurch andeuten, dass wir den Confonanten doppelt schreiben. Für difes längere Anhalten scheint nun, namentlich bei dorfaler Bildung, die Lage der Zunge gegen den Alveolarrand bequemer zu fein als die gegen den unteren Rand der Oberzäne, welche bei dorsaler Bildung nur dadurch möglich ist, dass wir den Unterkiefer etwas gegen den Oberkiefer vortreten lassen, was für die meisten Menschen nicht fer bequem ist. Bei apicaler Bildung aber ist die Zunge überhaupt vil mer an die alveolare Lage gewönt, da dife auch bei den fo häufigen Lauten n, d, t gefordert wird, wärend die marginale Bildung bei keinem anderen Laute vorkommt als bei ß und th.

Ein fer markantes Analogon zu difer Veränderung des B in s haben wir in dem Uebergange des d in t ebenfalls nach geschärftem Vocale in den

Verben: schneiden, schnitt, geschnitten; leiden, litt, gelitten; fieden, fott, gefotten, wo ebenfalls der auf den Principien des Ablautes beruhende Wechsel zwischen Denung und Schärfung des Vocals nicht bloß einfachen oder doppelten Confonanten bewirkt, fondern auch auf die innere Natur des Confonanten felbst einen unmittelbaren Einfluss ausübt. Nur war letzterer Einfluss hier schon im Ahd. eingetreten. Die Verba lîdan, midan, snidan, siodan haben im plur. praeter. und im part. praet., wo kurzer Vocal stattfindet, schon im Ahd. d in t gewandelt: lidu, litumês, litan; mîdu, mitumês, mitan; snidu, snitumês, snitan; siudu, sutumês, sotan. Dass der Grund difer Erscheinung wirklich in der Quantität des Vocales ligt, geht daraus schlagend hervor, dass im Verbo meiden im Nhd. mit der unorganischen Denung des Vocals im praet. und part. praet. auch wider d statt t eingetreten ist: wir miden, gemiden. Fabian Frangk braucht noch das Particip vermitten.

Ebenfowenig wie das Nhd. dd duldet (mit Ausname von Widder; Wörter wie Kladde und änliche find nicht hochdeutsch), ebenfowenig duldete es BB, fondern verwandelte jenes in tt, difes in ss.

Es findet nun aber nach unserer gewönlichen, Gottsched-Adelungschen Orthographie eine Unregelmäßigkeit in der Schrift statt. Wärend der Uebergang des Marginallautes in den Alveolarlaut für den Inlaut zwischen Vocalen anerkannt und vor Augen gestellt wird, geschiht dis für den Auslaut nicht. Man schreibt richtig den nhd. Lautgefetzen gemäß fassen mit ss, hat aber fass zu schreiben vermiden, als fahe dis unschön aus, und hat dafür faß nach mhd. Stande vorgezogen. Im 15. Jarh. schrib man zuweilen schon richtiger fasß. Dadurch hat B in unferer Schrift eine doppelte Function erhalten. In Fuß, Füße etc. drückt es den einfachen Marginallaut aus, in Roß, Faß, Schuß dagegen steht es für den geminirten Alveolarlaut, welcher bei Ross ein ursprünglicher, bei Fass, Schuss dagegen erst mit der nhd. Periode eingetreten ist. Man kann deshalb, wenn man jetzt z. B. ruß geschriben findet, dem Zeichen nicht ansehen, ob man rûß oder russ zu lefen habe. Man ist mit difer Entstellung felbst fo weit gegangen, dass man auch in Fremdwörtern, wie Process, Progress, das ss in ß verwandelt fiht, was jedes philologische Gefül aufs empfindlichste verletzt.

Der Grund für dife Corruption ist ein ganz nichtiger und alberner; warum ss am Ende des Wortes nicht geduldet werden foll, wärend rr, 11, mm, nn, ff, pp, tt, ck, tz one Anstand geduldet werden, ist in keiner Weise einzuleben.

Mit difem Zustande konnte fich für die Dauer die Grammatik nicht einverstanden erklären, obwol der großherz. Badensche Oberstudienrat Feldbausch noch im Jare 1856 eine gewandt geschribene, aber auf ser schwachen Füßen stehende Verteidigung der Gottsched-Adelungschen Orthographie hat erscheinen lassen. Ein Seitenstück dazu bilden die Briefe über Orthographie, welche Wolfgang Menzel in der Augsburger Zeitung veröffentlicht hat.

Ein Verfuch zur Abhülfe des Uebelstandes ist namentlich eifrig befurwortet von Hey fe, Vater und Son, welche analog dem im Inlaute geschribenen ss auch im Auslaute nach geschärftem Vocal der allgemeinen Aussprache gemäß ss einzufüren suchten. Einen Anlauf zu difer Verbesserung hatte schon einer der Hauptvorgänger Jacob Grimms, Fulda, im deutschen Sprachforscher I, 161 gemacht, wo er schreibt: „Baff, blaff, graff, Fass, Haff, laff, naff u. f. w.,“ nachdem schon Dasypodius Dict. Lat. Germ. Argent. 1537; Flufs, rifs etc. geschriben hatte. (Vgl. Radlof Schreibungslehre S. 352).

Einen etwas andern Ausweg als Fulda und Heyfe hatten der Schreiblehrer Erhard in Leipzig und der k. fachs. Geh. Registrator Rofsberg in feiner „Anweifung zum Schön- und Geschwindschreiben“ versucht, indem fie für das am Ende der Silbe statt des ss stehenden B das fogenannte nashornartige B letzten, d. h. ein B, welches oben mit einem Kopfputze, einer Art Horn oder Hanenfeder verfehen war, wodurch es ein gutes Gegenstück zu der unschönen Form des kleinen lat. g unferer Drucke geworden ist. Rofsberg nannte dis, wie er fagt, nach Herrn Hofrat Adelung, das doppelt geschärfte s, ein Ausdruck, der an fich ganz falsch ist, der aber eine richtige Bedeutung gewinnt, wenn wir nur noch ein e hinzufügen und fagen: das doppelte geschärfte s, da es in der Tat für ein doppeltes scharfes s steht.

Noch ist die Heyfesche Verbesserung der Rechtschreibung nicht durchgedrungen, obwol fich manche Stimmen dafür ausgesprochen haben; fo Radlof (schon 1820), Schmitt henner (Teutonia 1828), Rapp (Phyfiologie der Sprache 1841), welcher sagt: „Kiffen und grüßen find richtig getrennt, Kuß und Gruß fallen fälschlich zufammen, Kufs ist eine Verbesserung, weil das Auge die Schärfung fehen will," Vernaleken (1847 in Herrigs Archiv), Rud. v. Raumer 1855, Sanders 1856, Kratz 1858, Högg 1858, Hermes (1859). Ich felbst hahe feit 1853 in meiner Zeitschrift für dife Verbesserung zu wirken gefucht, welche auch in der Stolzeschen Stenographie eine Anerkennung und glückliche Anwendung gefunden hat.

Einen andern Verfuch, den Uebelstand zu heben, hat Jacob Grimm in den drei ersten Bänden feiner Grammatik gemacht. Er fagte: Allerdings ist es nicht gerechtfertigt, faß und daneben fassen zu schreiben, aber der Feler ligt nicht in dem ß von faß, sondern in dem ss von fassen, und fo fürte er für den Inlaut statt des ss (mit Ausname der Wörter, welche schon ahd, und mhd. ss haben, wie missen, küssen etc.) ß ein, schrib also faßen, waßer etc. Der ehrwürdige große Forscher, dem die ganze deutsche Nation zu fo unendlichem Danke verpflichtet ist für alles Große, Erhabene, was er geschaffen und geleistet hat, hat dife Aenderung, welche nur Oel ins Feuer goss, schon feit 1834 felbst als eine unausfürbare erkannt und ist zum ss zurückgekert; in der Grammatik felbst hat er, was ihm gewiss nicht wenig Ueberwindung gekostet hat, im 4. Bande das ss widerhergestellt.

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Er hat die Richtigkeit desfelben klar und bestimmt ausgesprochen in der Vorrede zum Wörterbuche, wo er fagt:

,,Inlautend fallen uns mhd. ss und 33 zufammen; gewissen (certum) klingt uns wie wissen (scire), bissen (momorderunt)." Nichtsdestoweniger gibt es eine nicht kleine Anzal von Anhängern der historischen Grammatik, welche hierüber anders denken, ja einzelne derfelben (wie z. B. Philipp Wackernagel,*) haben es für die Hauptaufgabe der deutschen Rechtschreibung erklärt, die von Grimm verlassene Veränderung ihm felbst gegenüber mit aller Macht aufrecht zu erhalten. Namentlich find es Möller (Herrigs Archiv, Bd: XIV.), Ph. Wackernagel, Weinhold, Vilmar, Andrefen, Ruprecht, Bezzenberger, Zacher, Schleicher, welche für die ältere Grimmsche Schreibweife des B aufgetreten find. Die Hannoversche Orthographen conferenz vom Jare 1854 hatte fich principiell in der Majorität dafür erklärt, dife Schreibweife in die oberen Classen der Gymnasien einzufüren, hat aber fer bald danach die Unausfürbarkeit erkannt und wider die andere Fane aufgezogen.

Auch die neuste, fer interessante Schrift über deutsche Rechtschreibung: „Proben und Grundfätze der deutschen Rechtschreibung aus fünf Jarhunderten von Manuel Raschke, Wien 1862" hat fich zur Theorie der drei ersten Bände der Grimmschen Grammatik bekannt, und ruft denen, welche mit Jacob Grimm der letzten 28 Jare am ss halten, entgegen: „Es wäre erst zu erweifen, dass die Länge oder Kürze des Selbstlautes den folgenden Mitlaut nicht bloß verdoppelt, fondern ändert; das ist aber unerweisbar!" Allerdings ist dis fo lange unerweisbar, als die Natur der s-laute nicht phyfiologisch klar festgestellt ist. Sobald aber dis geschehen ist, hört die Unerweisbarkeit auf, und es bedarf dann nur einer forgfamen Beobachtung in corpore vivo, um fich zu überzeugen, dass man in aß einen andern s-laut spricht als in essen; änlich wie man in schneiden einen andern Confonanten spricht als in schnitt. Man übe fich nur etwas darauf ein, auf das Gefül im oberen Zanfleische zu achten, und man wird fich bald von dem Unterschide überzeugen.

Wenn Hoffmann in Lüneburg (Vorrede zur 5. Aufl. der neuhochdeutschen Elementargrammatik 1859) daraus, dass bei Luther, zu einer Zeit, wo fich ein fester Gebrauch noch nicht gebildet hatte, ff auch nach langem Vocal gebraucht wird, schließt, dass ß nur eine eigentlich überflüssige Nebenform des ff fei, und dass nicht mer die Rede fein könne von einem materiellen Unterschide zwischen ff und ß, so fetzt er fich damit, indem er einen einzelnen Tropfen aus einem schwankenden Mere herausnimmt, über die ganze geschichtliche Entwicklung unserer Schrift vom XIV. Jarhundert ab bis jetzt und über alle phonetischen und etymologischen Momente, die überhaupt bei der Entscheidung der Frage in Betracht kommen, hinweg, und

*) Vergl. meine Vereinfachungen der deutschen Rechtschreibung,

S. 57 ff.

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