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V. Shakespeare in Italien?

Obwohl die dürftigen Nachrichten, welche von dem Leben Shakespeares Kunde geben, über eine italienische Reise des Dichters nichts verlauten lassen, so hat sich doch die Überzeugung, dass der Schöpfer von Romeo und Julia das Wunderland der Schönheit in der Tat geschaut hat, bei Shakespeare-Forschern mehr und mehr befestigt. Mehrere auffallende Tatsachen sind in neuerer Zeit ans Licht gezogen worden, welche diese Folgerung mindestens sehr nahe legen. Die Gründe, welche für diese Annahme sich vorbringen lassen und zum grossen Teil schon früher vorgebracht wurden,1) sind im wesentlichen folgende:

Zunächst eine gewisse obwohl beschränkte Kenntnis der italienischen Umgangssprache, die Shakespeare in einigen Dramen verrät. Er gebraucht Lehnwörter wie gondola, mercatante, nuncio die sonst nicht üblich sind, flickt gelegentlich, besonders in der Zähmung der Widerspänstigen, italienische Wörter und Wendungen ein, wie basta! con tutto il cuore ben trovato, alla nostra casa ben venuto, mi perdonate auch vulgäre Flüche wie cazzo, einmal sogar in der Verlorenen Liebesmühe einen sprüchwörtlichen Vers:

Venetia, Venetia,

Chi non ti vede, non ti pretia.

1) Vgl. Shakespeare-Jahrbuch VIII, 47 ff., XIII, 136 ff., XIV, 156 ff., XV, 230 ff.

Dagegen citiert er nie einen Vers aus einem italienischen

Dichter und erwähnt von italienischen Dichtern
Petrarca.

nur

Es gab nun aber damals schon eine italienische Kolonie in London, auch einen italienischen Sprachmeister John Florio; man könnte also vielleicht annehmen, dass Shakespeare sich solche Sprachkenntnis auch in London angeeignet.

Eine Menge italienischer und italienisch klingender Personennamen ist in den Dramen verwendet, zum Teil mit mehr oder weniger üblichen übereinstimmend, zum Teil, wie es scheint vom Dichter neugebildet, manche aus den Novellen und sonstigen Quellen entnommen, manche aber offenbar von Shakespeare erst eingeführt (z. B. Orsino, Lodovico, Bentivolio, Vincentio, Leonardo, Miranda, Bianca, Claudio, Bernardo, Prospero, Baptista Minola, Hortensio, Silvia, Adriana, Gratiano) sämtlich wirklich üblichen italienischen Familien- oder Taufnamen entsprechend. Der Mohr von Venedig ist in der Originalnovelle unbenannt: Shakespeare giebt ihm den Namen Othello, der weder aus der Geschichte, noch aus der Litteratur bekannt ist.

Otello war aber nachweislich in der Tat ein im XVI. Jhd. in Venedig üblicher Familienname. Das Gleiche gilt von dem Namen Gobbo 'ein Buckliger' im Kaufmann von Venedig, der an den Gobbo di Rialto gemahnt.

Die Namen Bassanio und Salarino erinnern an den der Stadt Bassano, unweit Venedig (auch eines darnach benannten Malers), und an den Ort Salorino in der italienischen Schweiz (möglicherweise auch als Personenname verwandt). Namen, wie Biondello, Trinculo, Benvolio, Malvolio sind ganz im Geist der italienischen Sprache gebildet, ebenso Nerissa (= Nericcia?). Petruchio (= Petruccio) ist eine familiäre Koseform von Pietro.

Shakespeare betont meistens richtig, aber allerdings falsch Rómeo, Desdemóna, Stepháno, während die richtige italienische Accentuation Roméo, Desdémona, Stéphano verlangt; es ist indessen zu bedenken, dass diese Namen eben sehr seltene sind, die Shakespeare wohl auf litterarischem Wege kennen lernte.

Die Hauptbeweismomente für Shakespeares Aufenthalt in Italien liegen aber in dem italienischen Lokalkolorit seiner Dramen.

Natürlich ist bei der Beurteilung abzusehen von modernen Dekorationskünsten und nur der Text in Rechnung zu ziehen. Es ist auch sorgfältig zu unterscheiden zwischen dem, was der Dichter aus seinen Quellen entnommen, und was er selbständig hinzugefügt hat, und nur das Letztere als Beweismaterial zu verwenden.

Anderseits ist zu bedenken, dass Shakespeares geographische Kenntnisse im allgemeinen sehr mangelhafte waren, dass er sich wenig Mühe gab die Lokalfarbe dem Schauplatz der Dramen entsprechend zu gestalten, dass er z. B. ein norwegisches Heer durch Dänemark nach Polen marschieren lässt, dass er von Löwen und Palmen und Olivenhainen in den Ardennen spricht (Wie es Euch gefällt) und von einer Küste von Böhmen (Wintermärchen). Auch ist in Betracht zu ziehen, dass es damals (wenigstens vor 1600) Reisehandbücher und Beschreibungen noch nicht gab, ebensowenig Geographiewerke oder Konversationslexika, Zeitungen oder illustrierte Journale, um daraus Rat zu schöpfen, und Anschauungen von fernen Gegenden zu gewinnen. Man darf also nicht den modernen Massstab an die Lokalschilderungen in den Dramen Shakespeares anlegen. Auch der Vergleich mit Schillers Wilhelm Tell z. B., in welchem ja die Schweiz im wesentlichen richtig geschildert ist, obwohl Schiller nie dort gewesen, ist nicht zutreffend. Schiller hatte ja allerhand Hülfsmittel zur Verfügung und konnte jederzeit bei sehr gebildeten Personen, die in der Schweiz gewesen waren, z. B. bei Goethe, Auskunft erhalten. Aber in Schillers Geisterseher oder im Fiesco ist entschieden weniger Lokalfarbe als im Kaufmann von Venedig, oder Othello, oder Romeo und Julia.

Wer nun Shakespeares italienische Dramen z. B. mit dem Hamlet, oder mit Maass für Maass, oder mit dem Wintermärchen, oder mit Was Ihr wollt vergleicht, der wird unschwer finden, dass der Dichter, was Örtlichkeiten, Scenerie, Kostüm, Sitten, Lebensweise betrifft, in Oberitalien viel besser zu Hause ist, als in Dänemark, oder Illyrien, oder Sicilien, oder Österreich (Wien). Ja, selbst die Stücke, welche in Frankreich spielen, wie Ende gut, Alles gut, Verlorene Liebesmühe, Wie es Euch gefällt, stehen in dieser Beziehung hinter den meisten italienischen Dramen zurück, wie schon aus dem Fehlen von Ortsnamen hervorgeht.

Besonders instruktiv ist die Vergleichung mit dem Hamlet. Mehrere Kollegen Shakespeares hatten sich ja in den 80er Jahren des XVI. Jahrhunderts (1586) auf einer Kunstreise längere Zeit in Helsingör aufgehalten. Unser Dichter hatte also gute Gelegenheit über Ortlichkeiten und Verhältnisse von Dänemark Auskunft zu erhalten, und hat diese offenbar auch benutzt. Die Lage und Bauart des Schlosses Helsingör ist im ganzen zutreffend geschildert oder angedeutet. Und doch, wohl jeder der Helsingör aus eigener Anschauung kennt und die Geisterscenen des Hamlet aufmerksam liest, wird zur Überzeugung kommen, dass der Dichter selbst nicht dort gewesen sein kann (vgl. Haml. I, 1, 167, I, 4, 70). Im übrigen aber kann von einem specifisch dänischen Lokalkolorit im Hamlet nicht die Rede sein, abgesehen von den Namen Rosenkrantz und Güldenstern (Anglia N. F. II, 325).

Ganz anders die italienischen Dramen.

Besonders in den Schauspielen, welche nach Venedig und Padua verlegt sind, entwickelt Shakespeare mannigfache Spezialkenntnisse von Örtlichkeiten, wie man sonst nur von einem, der ein fremdes Land selbst bereist hat, erwarten kann. So wird im Kaufmann von Venedig der Rialto (nicht sowohl die Brücke, als der gleichnamige Platz daneben) als der Ort genannt, wo Geschäfte gemacht und Neuigkeiten ausgetauscht werden. Was heute der Markusplatz für Venedig, war damals in der Tat der Rialto-Platz, heute die 'Erberia' genannt, auf der noch jetzt die Säule mit dem 'Gobbo di Rialto' zu sehen ist. Die Erwähnung der Senatoren' und der Titel 'Magnifico' ist für venetianische Verhältnisse zutreffend. Belmont, Portias Wohnsitz, wird vom Dichter (abweichend von der Originalnovelle) bezeichnet als zwischen Padua und Venedig gelegen, und zwar 20 (englische oder italienische) Meilen von Venedig, in der Nähe eines 'Traject' (alte Ausgg. tranect) oder einer Fähre (= traghetto), in der Nähe eines Nonnenklosters. Diese Ortsangaben treffen, wie von K. Elze und Th. Elze ermittelt worden ist, auf den Ort Strà an der Brenta zu, wo damals in der Tat Paläste und Villen von reichen Venetianern lagen.

Der Dichter weiss ferner, dass Padua zur Republik Venedig gehört; er erwähnt in der Widerspänstigen Zähmung eine Kirche zu St. Lucas in Padua, übereinstimmend mit der Wirklichkeit, was indessen zufällig getroffen sein kann.1) Er scheint auch den Einfluss zu kennen, den ein Paduaner Professor der Rechtsgelahrtheit, Dr. Descalzio, in jener Zeit auf die Rechtsprechung in Venedig ausübte, wie aus der Figur des Dr. Bellario im Kaufmann von Venedig zu entnehmen ist.

Er weiss sodann, dass Mantua nicht sehr weit von Verona, Padua, Venedig entfernt ist (Romeo und Julia, Zähmung der Widerspänstigen), während er über die Entfernung dieser Stadt von Mailand und über den Weg dorthin allerdings keine klaren oder zutreffenden Vorstellungen hat (Die Beiden Veroneser); auch dass Mantua zu einem besonderen Herzogtum gehört (Zähmung der Widerspänstigen). In Mantua regierte damals (1587-1612) der Herzog Vincenzio Gonzaga, der auch den Titel eines Markgrafen von Montferrat führte (vgl. Shakespeare-Jahrbuch XXXI, 165). In

1) Immerhin ist der Name des Heiligen Lukas für Padua charakteristisch, da die Paduaner sich rühmten die Gebeine gerade dieses Heiligen in Besitz zu haben.

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