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Shakespeares Phantasie scheint auch sonst zuweilen durch mythologische Gemälde angeregt zu sein, und merkwürdigerweise stossen wir immer wieder auf solche Scenen, die Giulio Romano gemalt hat: Venus auf ihrem Wagen von Tauben gezogen (Ven. und Adonis), Pluto, dem Spiel des Orpheus lauschend (Lucr. 553), Diana und Actaeon, Sturz des Phaethon, Gigantenkampf, Apollo und Satyrn auf einem Bilde nebeneinander (vgl. Hamlet: Hyperion to a Satyr), die Schmiede Vulkans. Die entsprechenden Gemälde sind sämtlich im Vasari und bei dem Conte d'Arco in seiner Biographie von Giulio Romano verzeichnet. Allerdings waren die meisten dieser Scenen allgemein geläufig, und Shakespeare durch seine Ovid-Studien vertraut. Auch gab es wohl in England öfters ähnliche Darstellungen auf Wandteppichen und dergleichen. Immerhin ist es merkwürdig, dass solche mythologische Scenen bei dem ungelehrten Shakespeare meist anschaulicher sind, als bei den Akademikern.

Von Giulio Romano wenigstens muss Shakespeare doch wohl etwas mehr gewusst haben, als den Namen. Nun soll allerdings ein englischer Maler, Isaac Oliver (1556 geboren) schon zu jener Zeit italienische Gemälde kopiert haben. Es bleibt also immerhin die Möglichkeit, dass der Dichter auch in England künstlerische Anregungen erhalten hat. Dass aber Isaac Oliver sich gerade Romanos Gemälde ausgesucht haben sollte, ist recht unwahrscheinlich.

Wenn man nun angesichts aller solcher Kenntnisse von italienischen Örtlichkeiten, italienischer Natur, Lebensweise, Kunst und Sprache, die der Dichter entwickelt, an der Annahme festhält, dass er nur aus Schriften und mündlichen Mitteilungen von Italien Kunde erhielt, so heisst dies an Stelle einer mit einem Schlage alles erklärenden und gar nicht unwahrscheinlichen Hypothese, eine Reihe von mehr oder minder unwahrscheinlichen Einzelhypothesen setzen.

Denn man müsste doch dann annehmen, dass Shakespeare bei den meisten seiner italienischen Dramen, deren. Abfassungszeit um mehr als 10 Jahre auseinanderliegt, von denen einige, z. B. das Wintermärchen, gewiss in Stratford gedichtet sind, landeskundige Berater zur Seite gehabt und zugezogen hätte; man müsste bei diesen grosse Darstellungsgabe, bei dem Dichter selbst aber eine ganz wunderbare Fähigkeit voraussetzen, sich in nie gesehene Orte und Verhältnisse hineinzuleben; man müsste wohl auch annehmen, dass er den Vasari im Original studiert hätte.

Und was sollte den Dichter bestimmt haben, gerade bei den italienischen Dramen von seiner sonstigen genialen Sorglosigkeit in Bezug auf Lokalkolorit abzugehen?

Wie unwahrscheinlich, dass ein Dichter, wie Shakespeare, für ein Publikum, wie das damalige englische, mosaikartig allerhand mühsam gesammelte Einzelkenntnisse verarbeitet, und dass er auf diese Weise so einheitliche, stimmungsvolle Dichtungen zu Stande gebracht haben soll, wie Romeo und Julia, wie den Kaufmann von Venedig, wie Othello!

Die Zähmung der Widerspänstigen (um auch ein unbedeutenderes Drama zu nennen) ist von Shakespeare, wie allgemein bekannt, nach einer älteren Posse bearbeitet, in welcher der Schauplatz Athen ist. Shakespeare verlegt ihn nach Padua, und muss infolgedessen nicht nur durchgehend italienische Personennamen und Ortsnamen einführen, sondern auch die Darstellung der Verhältnisse ändern. Wie beschwerlich für einen, der Italien nur aus Büchern, oder vom Hörensagen kennen soll! Ein leichtes Spiel der Phantasie dagegen für einen, der in Oberitalien gewesen war.

Bekanntlich waren italienische Reisen schon damals bei den Litteraten und Schauspielern Englands gar nichts Ungewöhnliches. Dass Shakespeare Seereisen gemacht hat, geht zudem aus mehreren Stellen der Dramen hervor, welche die hohe See und das Leben auf einem Schiffe mit grosser Anschaulichkeit schildern. In den ersten Dramen ist von solchen Erfahrungen, wie wir gesehen haben, noch nichts

Sarrazin, Shakespeares Lehrjahre.

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zu spüren. Im König Lear hat der Dichter die DoverKlippe offenbar nach eigener Anschauung geschildert.

Manche Sonette deuten auf grössere Reisen hin, die der Dichter gemacht hat (44, 110, 113), andere weisen auf einen längeren Aufenthalt in der Nähe hoher Berge hin (33), in einem Land der Ruinen, Statuen, Marmorpaläste (55, 64, vgl. Lucr. 944), in einem 'Reich der Küste', wo dem Meere fester Boden abgewonnen worden ist (64). Freilich lassen sich alle diese Anspielungen zur Not auch anders deuten; die letzte würde z. B. auf Holland eben so gut, wie auf die italienischen Niederlande passen.

In den Dramen wird, wenn von Reisen die Rede ist, Oberitalien und namentlich Venedig mit besonderer Vorliebe erwähnt, so in der ersten Scene von König Johann, in der Verlorenen Liebesmühe (IV, 2), in Wie es euch gefällt (IV, 1). Von Gegenden und Orten Oberitaliens wird mit besonderer Wärme gesprochen. So wird bei der Erwähnung von Venedig hinzugefügt: 'jenes angenehme (pleasant) Land' (Rich. II, IV, 1), die Städtenamen Verona, Padua, Mailand, werden mit dem Epitheton 'fair' bedacht, welches auf englische Städte nicht angewandt wird; die Lombardei wird als der fruchtbare Garten Italiens bezeichnet (Zähmung der Widerspänstigen I, 1).

Endlich ist noch in diesem Zusammenhange zu erwähnen, dass der Dichter ja auch die französische Umgangssprache einigermassen beherrscht, dass er französische Sitten und Charaktere mit gewisser Sachkenntnis andeutet oder darstellt (Verlorene Liebesmühe, Ende gut, alles gut, Lustige Weiber von Windsor, vgl. z. B. 'French brawl' in LLL., cardecue quart d'écu in All's well), dass er im letzten Akt von Heinrich V. die verwüsteten Fluren Frankreichs anschaulich schildert, so wie sie etwa zur Zeit der Bürgerkriege 1592/93 ausgesehen haben müssen, dass er die Namen des Marschalls Biron, des Herzogs von Longueville und des Herzogs du Maine kennt, die in diesem Kriege, be

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sonders im Jahre 1592 hervorragende Rollen spielten (Verlorene Liebesmühe).

Alle diese Momente zusammengenommen liefern noch keinen strikten Beweis, jedenfalls zeigen sie aber, dass hier mehr als eine vage Vermutung, dass eine Hypothese vorliegt, die Anspruch auf einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit macht.

Die Hypothese würde noch manches andere erklären, z. B. den merkwürdigen Umstand, dass der Dichter überhaupt bei Dramen, die im Auslande spielen, gern etwas modernitalienische Färbung anbringt; sie würde ferner vielleicht ein Licht werfen auf die immer noch mysteriöse Figur der 'schwarzen Frau', die ganz wie eine Italienerin geschildert ist, sie würde Dramen, wie Antonius und Cleopatra, Ende gut, alles gut und Cymbeline als eine Art poetischer Beichte erscheinen lassen; vor allem würde sie aber die merkwürdige Stilwandelung begreiflich machen, welche um das Jahr 1592 in den Dichtungen Shakespeares sich vollzieht. In den Sommer und Herbst 1592 müssten wir, wenn nicht alles trügt, die italienische Reise verlegen.

Ohne jene Hypothese würden wir vor einem psychologischen Rätsel stehen. Es wäre ohne die Geschmacksläuterung, welche eine solche Reise bewirkte, allerdings kaum zu verstehen, wie aus dem Dichter des Titus Andronicus in so kurzer Zeit der Dichter von Romeo und Julia wurde, und der Zweifel englischer Kritiker an der Identität beider wäre vollauf berechtigt. Der Stilunterschied ist in der Tat beinahe so gross wie zwischen dem Götz von Berlichingen und Goethes Tasso.

VI. Venus und Adonis.

Wenn wir von den ersten Dramen Shakespeares zu seiner epischen Dichtung von Venus und Adonis übergehen, können wir nicht umhin einen bedeutenden Fortschritt in der Entwickelung der dichterischen Kunst wahrzunehmen. Schon aus diesem Grunde hätte dies Gedicht nicht zu früh angesetzt werden dürfen. Mit ziemlicher Sicherheit können wir annehmen, dass es im Sommer 1592 verfasst ist (vgl. Engl. Stud. XIX, 352). Wir haben das Gefühl, als wenn wir aus kahler Aprillandschaft auf einmal in wonnigen, blühenden Mai geraten.

Die Sprache wird weicher, geschmeidiger, volltönender, kunstvoller, aber auch künstlicher: Antithesen, Kontraste, Oxymora, Concetti, Wortspielereien, Metaphern, Vergleiche wuchern hier schon üppig; ein zierlicher Parallelismus im Satzbau herrscht vor.

Fast alle die Stilkünste und Künsteleien, die in den Dramen allmählich sich ausbilden, sind jetzt schon voll entwickelt. Die Darstellung ist farbenreicher, anschaulicher, malerischer.

Wir werden an mythologische Gemälde von Rubens erinnert: italienische Schule, aber germanischer Geist. Auch Venus und Adonis ist ein echtes Produkt der Spätrenaissance, die schon in den Barockstil übergeht. Die üppige Sinnlichkeit der Darstellung ist nicht ganz frei von lüsternem

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