richtig ist, denn Talbot fiel 1453], jetzt auf der Bühne triumphiere, und dass seine Gebeine von den Thränen von 10000 Zuschauern neu einbalsamiert worden wären. Die Identität dieses Stückes mit dem bekannten Drama 'Henry VI., First Part', welches zum ersten Mal, wie es scheint, in der Gesammtausgabe von Shakespeares' Werken 1623 im Druck veröffentlicht wurde, wird freilich vielfach noch bezweifelt, obwohl in dieser Historie in der Tat Talbot der eigentliche Held ist. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass Nashs Äusserung auf die 7. Scene des IV. Aktes in diesem Drama recht gut passt. Jedenfalls muss das von Nash gemeinte Zugstück identisch sein mit dem in Henslowe's Rechnungen unter dem 3. März 1591/92 zuerst erwähnten 'Henery the VI (Fleay, Chronicle History of the London Stage p. 95), welches von derselben Schauspielergesellschaft aufgeführt wurde, zu der William Shakespeare gehörte. Da nun in demselben Jahr Robert Greene in seinem bekannten Pamphlet 'A Groatsworth of Wit' (Herbst 1592 veröffentlicht) sehr deutlich auf Shakespeare als ScenenErschütterer (Shake-scene) und Bühnen-Faktotum anspielte und unmittelbar danach einen Vers aus dem dritten Teil von 'Henry VI.' parodierte, da ferner der erste Teil mit dem zweiten und dritten nicht nur inhaltlich, sondern, wie wir noch sehen werden, auch stilistisch eng zusammenhängt, da endlich Shakespeare im Epilog zu dem später gedichteten 'Henry V.' auf die Dramen von Henry VI. als beliebte und oft aufgeführte hingewiesen und die Hoffnung ausgesprochen hat, dass 'um ihretwillen' auch Heinrich V. freundlich aufgenommen werden würde, so erscheint mir jener Zweifel als ein hyperkritisches Bedenken. Aus ästhetischen und stilistischen Gründen wird nun freilich der erste Teil von Heinrich VI. von den meisten englischen 1) und von manchen deutschen Kritikern Shake 1) So noch neuerdings von Boas in seinem sonst recht empfehlenswerten Buche 'Shakspere and his Predecessors' p. 141. speare abgesprochen. Ich selbst war früher in dieser von Malone begründeten Ansicht befangen, und hielt höchstens die Talbot-Scenen für echt. Aber je mehr ich mich in Shakespeare einlas, um so deutlicher trat mir allmählich auch in anderen Scenen der Geist Shakespeares entgegen; Scene für Scene fast wurde in meiner Überzeugung für Shakespeare zurückgewonnen, zunächst II, 4 (TempelGarten-Scene), II, 5 (der sterbende Mortimer), III, 3 (Burgund durch die Beredsamkeit des Mädchens von Orleans gewonnen), V, 3 (Suffolk und Margaretha), sodann aber auch die Streitscenen, ferner I, 2 (erstes Auftreten der Pucelle), I, 4, (Salisburys Tod). Sogar Scenen, die mir zuerst des grossen Dichters ganz unwürdig erschienen, wie z. B. II, 3, V, 4 verraten bei genauerer Prüfung Shakespeares Stil. Zuletzt war ich noch im Zweifel in Betreff der letzten Scene des ersten Aktes; und doch scheint mir jetzt auch hier die Sprechweise des jungen Shakespeare unverkennbar. Natürlich darf man an ein Erstlingswerk besonders an das Erstlingswerk eines Schauspielers von nur mässiger Bildung nicht hohe ästhetische Anforderungen stellen, man darf auch keine besonders scharf ausgeprägte dichterische Individualität darin erwarten. Im ganzen herrscht hier noch die hergebrachte, konventionelle pathetische Theatersprache. Vielfach werden wir an den hölzernen Stil des Puppenspiels erinnert. Manche Gestalten erscheinen noch wie seelenlose Marionetten, welche die typischen steifen Bewegungen machen und stets in demselben monotonen Pathos deklamieren. Der unsichtbare Leiter des Spiels kann seine Stimme noch nicht recht modulieren und hat sie offenbar der herrschenden Mode angepasst; dennoch hört man gar nicht selten einen individuellen, charakteristischen Ton heraus, wenn man sich nur die Mühe giebt darauf zu achten: ein seltsames, noch nicht verarbeitetes Gemisch von urwüchsiger Derbheit und instinktiver Feinheit, von Rauhheit und Milde, von Melancholie, Humor, Witz und bitterem Sarkasmus. Als am leichtesten zu bemerkende echt Shakespearesche Characteristica möchte ich die folgenden hervorheben: 1. Häufung von rhetorischen Fragen (kommt allerdings auch bei Kyd und Greene, aber viel seltener bei Marlowe vor). 2. Neigung, eine längere Rede mit einem Ausruf oder einer Apostrophe zu schliessen. 3. Sarkastische Sprechweise. 4. Neigung zu Wortspielen (auch bei Kyd vorhanden, Diese Stileigentümlichkeiten sind in Henry VI A schon ebenso gut zu finden, wie in späteren unbezweifelt echten Dramen Shakespeares. Bei keinem einzigen der Zeitgenossen Shakespeares lässt sich aber dieselbe Kombination nachweisen; obwohl manche natürlich in einer oder der anderen Eigentümlichkeit übereinstimmen. Als Beispiel für die ersten beiden Characteristica citiere ich eine Rede Yorks. V, 4, 102: Is all our travail turn'd to this effect? Es dürfte sehr schwer werden, aus igrend einem Drama eines zeitgenössischen Dichters eine Stelle herauszufinden, die dieser auch nur annähernd ähnlich im Rhythmus des Satzbaues wäre; in Thomas Kyds Spanischer Tragödie vielleicht noch am ersten. Wir werden dagegen sehen, dass bei Shakespeare diese Art der Rhetorik ganz gewöhnlich ist. Was die ästhetischen Argumente gegen Shakespeares Autorschaft betrifft, so hat Brandl in seiner ShakespeareBiographie so treffende und kräftige Worte darüber gesagt, dass es kaum nötig ist, noch etwas hinzuzufügen. Die chronologisch ungenaue Darstellung der Tatsachen soll Shakespeares unwürdig sein. Aber in Richard III. z. B. kommen ebenfalls grosse Ungenauigkeiten vor. Dagegen hat sich Marlowe, dem ja die englischen Kritiker den Löwenanteil dieses Dramas sichern möchten, in seinen historischen Dramen jedenfalls genauer an die geschichtlichen Tatsachen gehalten. Bei einem Anfänger, einem Dichter von geringer litterarischer Bildung ist dergleichen doch eher entschuldbar, als bei einem routinirten Akademiker, von dem man grössere historische Kenntnisse erwarten müsste. Sodann wird die wenig geschickte Art, in welcher zwei verschiedene Handlungen nebeneinander herlaufen, hervorgehoben. Ähnlich lose ist aber die Komposition noch im Kaufmann von Venedig, in Heinrich IV., 1. u. 2. Teil. Gerade eine solche Doppelhandlung ist charakteristisch für Shakespeares Kompositionsweise. Dass der Dichter erst mit der Zeit lernte, die nebeneinander her laufenden Fäden der Handlung sorgfältiger zu verknüpfen und zu verflechten, ist sehr begreiflich. Das gewöhnlichste und das seichteste Argument ist das, welches die Zeichnung der Pucelle an die Hand giebt. Allerdings ist sie ein Zerrbild. Aber Nationalhass und nationale Voreingenommenheit haben selbst sehr gebildete und scharfsinnige Engländer noch in unserem aufgeklärten Jahrhundert gegen bedeutende historische Erscheinungen verblendet. Man denke nur an Macaulays Charakterbild von Friedrich dem Grossen oder an Walter Scotts Leben Bonapartes. Und nun verlangt man von einem dürftig gebildeten jungen Engländer des XVI. Jahrhunderts die historische Tiefe und ideale Schwärmerei eines Schiller! Wie sollte er denn zu einer idealen Auffassung dieser Erscheinung kommen, wenn seine Quellen ihm das Mädchen als Hexe schilderten? Hexenglaube war in jener Zeit allgemein verbreitet. Der Dichter folgte bei der Schilderung der Pucelle genau ebenso getreulich und kritiklos seiner Quelle, wie bei der Schilderung des Sir John Oldcastle (= Falstaff), die ja ebenfalls eine arge Karikatur war. Über Oldcastle liess er sich nachträglich durch die puritanische Kritik eines Bessern belehren und änderte daher den Namen; bei der Pucelle aber war jede Kritik verstummt: dem Geschmack des englischen Publikums war diese Zeichnung eben recht. Wer nun, wie Fleay, auf gut Glück und ohne eine Spur äusseren Zeugnisses behauptet, dass dieses Stück eine Compagniearbeit von Marlowe, Peele, Greene, Kyd, Lodge sei, der Shakespeare nur einige Kraftstellen hinzugefügt habe, von dem sollte man doch erwarten, dass er seine Ansicht durch eingehende Vergleichung mit den sicheren Dramen dieser Dichter begründete, sowie, dass er uns erklärte, wie es denn gekommen sei, dass bei dem Zusammenwirken von Dichtern, die zum Teil eine so ausgeprägte Individualität und einen so ausgeprägten Stil haben, ein Drama zustande gekommen sei, welches im Stil, Ton, in der Darstellungsweise und Komposition so einheitlich ist und dessen Stil von dem dieser sämmtlichen Dichter merklich abweicht. Aber Fleay begnügt sich mit oberflächlichen, subjektiven, ganz in der Luft stehenden Urteilen. Schon Charles Knight hat in einer scharfsinnigen, jetzt viel zu wenig gewürdigten Abhandlung (Essay on Henry VI) im VII. Bande seiner Ausgabe von Shakespeares Werken die Scheingründe Malones gründlich widerlegt und gezeigt, |