dass bereits in diesem Erstlingswerk der Stil und die Darstellungsweise Shakespeares unverkennbar ist, auch auf mehrfache charakteristische Ausdrucksparallelen mit den unbezweifelten Dramen Shakespeares aufmerksam gemacht (p. 43). Allerdings hat der Stil im ersten Teil von Henry VI. noch nicht die ausgeprägte Physiognomie der späteren Dramen Shakespeares. Es ist in der That nicht schwer Anklänge an ältere Dramatiker darin zu finden, was ja bei einem Anfänger, noch dazu einem Schauspieler, dem die Reminiscenzen an frühere Schauspiele, in denen er mitgewirkt, ganz von selbst kommen mussten, leicht begreiflich ist. 1) Besonders die erste Scene steht ganz unter dem Bann von Marlowes Tamerlan. Für den Eingang sind wahrscheinlich zwei Scenen aus dem zweiten Teil des Tamerlan (III, 2, V, 3) vorbildlich gewesen (Leichenfeier der Zenocrate, Tod Tamerlans), und der dritte Vers der Scene: Brandish your crystal tresses in the sky erinnert an einen Marlowischen Vers Tamb. A. 1922: Shaking her silver tresses in the air. Bald danach folgt ein Gleichnis : More dazzled and drove back his enemies Than mid-day sun fierce bent against their faces, welches ebenfalls Marlowe nachgebildet zu sein scheint: Tamb. B. 4506: Thus are the villain cowards fled for feare 1) Vgl. Fleay, A Chronicle History of the Life and Work of William Shakspere p. 257, Boas, Shakspere and his predecessors р. 141. Wiederum nur einige Verse später beruht der Ver gleich Like captives bound to a triumphant car wohl auf einer Reminiscenz an die berühmte Scene des Tamerlan (Tamb. B. IV, 3), in welcher Könige den Triumphwagen des Eroberers ziehen. " Auch in den späteren Scenen gemahnt der Bombast mitunter an Marlowes Sprache (z. B. I, 2, 27 verglichen mit Tamb. A. 240). Talbot tritt ganz wie Tamerlan als Geissel" und „Schrecken" der Franzosen auf (IV, 3). Die Überredungskunst der Jungfrau (III, 3) erinnert an eine ganz ähnliche Scene (Tamb. A. I, 2). Der schwache König Heinrich VI. ist ähnlich, nur weniger drastisch, geschildert wie Mycetes, der König von Persien; der Herzog von Burgund entspricht dem Cosroe. Die Scene, in der Graf Suffolk die Prinzessin Margaretha gefangen nimmt und von ihrer Schönheit bezaubert wird, lässt sich als Nachahmung einer wiederum sehr berühmten Scene des Tamerlan (Tamb. A. I, 2) auffassen. Auch in den Kampf- und Sterbescenen scheint Marlowe etwas nachgeahmt zu sein; doch ist Shakespeare auch hier schon realistischer und zugleich weicher im Ton. Der Stil von Marlowes Jew of Malta scheint wenigstens an einer Stelle eingewirkt zu haben. Der Gouverneur von Malta klagt um seinen erschlagenen Sohn: V. 1160: These armes of mine shall be thy Sepulchre. Fast genau dieselben Worte gebraucht der alte Talbot an der Leiche seines in der Schlacht gefallenen Sohnes : Henr. VI A IV, 7, 32: Now my old arms are young John Talbot's grave. Wenn diese schon von Dyce bemerkte Übereinstimmung nicht zufällig ist, was doch wohl kaum anzunehmen, so giebt sie einen Anhalt für die Datirung von Shakespeares Erstlingsdrama. Da der „Jude von Malta" kaum vor 1589 aufgeführt worden ist, dürften wir auch den ersten Teil von Heinrich VI., oder wenigstens diese Scene erst in dasselbe Jahr setzen. Auch die Erwähnung Macchiavellis ('Alençon, that notorious Machiavel' H 6A V, 4, 74) dürfte durch den Prolog des Juden von Malta veranlasst sein. 1) Weniger deutlich, aber doch erkennbar ist der Einfluss von Thomas Kyds Stil und Darstellungsweise. Gleich in der ersten Scene stossen wir auf Kydsche Metaphern : Henr. VI A I, 1, 48: Posterity, await for wretched years, When at their mothers' moist eyes babes shall suck Ganz ähnlich heisst es in Kyds Spanish Tragedy (um 1588), (Dodsley-Hazlitt's Collection of Old Plays V, 91): Made mountains marsh with spring-tides of my tears. Besonders einige Scenen im IV. Akt (5-7) sind in Kyds weicherer, mehr pathetischer Manier. Die Klage des alten Talbot um seinen Sohn erinnert an die Klagen des alten Jeronimo in der Spanish Tragedy, wie denn Talbot überhaupt, auch durch seine kleine Gestalt (II, 3, 22) dem Marschall Jeronimo ähnlich ist. 1) Vgl. indessen Edw. Meyer, Machiavelli and the Elizabethan Drama p. 58, wo vermutet wird, dass Shakespeare die dem Herzog von Alençon gewidmete Schrift Gentillets gegen Macchiavelli (1576) gekannt hat. 2) So nach Popes schöner Konjektur statt des unmöglichen 'nourish' der Folio. Vgl. zu der Stelle: Georg O. Fleischer, Bemerkungen über Thomas Kyds 'Spanish Tragedy' im Jahresbericht der Drei-König-Schule in Dresden-Neustadt 1896 (eine wertvolle Schrift, auf die ich bei dieser Gelegenheit hinweisen möchte) S. 25. Auch der Botenbericht in I, 1 dürfte dem Eingang dieses Dramas nachgebildet sein. 1) Von einer eigentlichen Nachahmung des Stils von Lodge oder Peele kann ich Nichts entdecken (obwohl Fleay mit grosser Sicherheit die Scenen III, 2, 3 Peele und V 2-5 Lodge zuschreibt), dagegen scheint mir wenigstens in einer Scene, auf die wir noch zu sprechen kommen, (V, 3) Greenes Einfluss erkennbar. Obwohl der Dichter also sich an berühmte Muster anlehnt, ist doch bei sorgfältiger Betrachtung sein Stil von dem anderer Dramatiker wohl zu unterscheiden. Im Ganzen weniger schwungvoll aber auch weniger bombastisch, als Marlowes Stil, weniger gewandt und gefällig, aber auch weniger salopp, als Greenes Schreibweise, weniger elegisch weich und manieriert pathetisch als Kyds Diktion; etwas trockener, nüchterner, steifer, schlichter. Der Satzbau sehr einfach; gewöhnlich schliesst ein Satz oder Satzabschnitt zugleich mit dem Vers ab. Rhetorische Figuren werden spärlich verwendet (ein paar Antithesen ausnahmsweise: II, 5, 35, II, 5, 44 und IV, 3, 32, 'capping of rimes' in IV, 5). Häufiger sind Metaphern, Vergleiche und Gleichnisse, zum Teil recht geschmacklose, aber doch originelle und charakteristische, z. B.: I, 2, 12: Or piteous they will look, like drowned mice. I, 5, 19: My thoughts are whirled like a potter's wheel. 1) Der Gallicismus: And rush'd into the bowels of the battle (I, 1, 129) stammt gewiss direkt aus Kyds First Part of Jeron.: 'Meet, Don Andrea! yes in the battle's bowels'; indirekt wohl aus Garnier, vgl. Kyds Übersetzung von Garniers Cornelia, Dodsley-Hazlitt I, 363: I, 5, 21: 'in the battle's bowels'. A witch by fear, not force, like Hannibal II, 5, 11: Pithless arms, like to a wither'd vine That droops his sapless branches to the ground. III, 2, 4: Talk like the vulgar sort of market men III, 3, 5: Let frantic Talbot triumph for a while, IV, 2, 45: How are we park'd and bounded in a pale, V, 5, 53: So worthless peasants bargain for their wives, Man erkennt aus solchen realistischen Vergleichen die Atmosphäre, in welcher der Dichter eigentlich zu Hause ist. Akademische, gelehrte Dichter, wie Marlowe, würden nicht leicht auf diese Bilder gekommen sein. Gewöhnlich werden schöne Stellen aus dem ersten Teil von Henry VI. angeführt, um die Autorschaft Shakespeares zu erweisen, oder zu bestätigen. Viel deutlicher scheinen mir indessen gerade die Geschmacklosigkeiten und Trivialitäten den wenig gebildeten, jugendlichen Dichter anzuzeigen, der vor kurzem aus einer Kleinstadt, aus engen, kleinbürgerlichländlichen Verhältnissen, frisch von Jagd und Viehzucht und Landwirtschaft her in die Hauptstadt gekommen war. Jedenfalls sprechen solche Vergleiche und Gleichnisse allein schon mit Entschiedenheit gegen die Annahme, dass das |