andere Ereignisse geleitet worden. Im November und Dezember 1592 waren drei grosse Schiffe (, Peter' aus Amsterdam, der 'Goldene Löwe' aus Middleburg und der 'Rote Löwe' aus London) auf den Goodwin Sands, in der Nähe von Dover gestrandet, wobei gewiss eine grosse Anzahl Menschen umkamen und kostbares Kaufgut verloren ging (Calendar of State Papers, Dom. Ser. 1591-94 p. 299, 307, 320, 471). Auf diesen Schiffbruch an den 'Goodwin Sands' wird ja auch im Kaufmann von Venedig und König Johann angespielt. Dazu halte man auch Stellen wie IV, 4, 232: And I, in such a desperate bay of death, Like a poor bark, of sails and tackling reft oder III, 7, 162: Being a bark to brook no mighty sea. oder III, 4, 101 : like a drunken sailor on a mast, Ready, with every nod, to tumble down Into the fatal bowels of the deep. oder II, 3, 44: as, by proof, we see The waters swell before a boisterous storm. Im ganzen wird die Phantasie des Dichters jetzt mehr von Vorstellungen und Bildern grossstädtischen Lebens beherrscht. Die Scene ist in den ersten vier Akten fast durchweg London, insbesondere der düstere Tower und das Königsschloss. Wir hören Strassen-Gespräche der Bürger, sehen den Lord Mayor nach der Guildhall eilen, wir sind Zeugen von Ratsversammlungen, Aufzügen, Huldigungsdeputationen, Hinrichtungen, Leichenzügen; Gerichtsscenen schweben dem Dichter manchmal vor (I, 4, 190, IV, 4, 127, V, 3, 199); auf das Bühnenleben wird zuweilen angespielt (II, 2, 39, III, 5, 5, III, 7, 51). Wie der Dichter sich mit höfischer Sitte, höfischer Mode, höfischem Luxus jetzt schon ziemlich vertraut zeigt, so ist auch sein Stil und seine Darstellungsweise schon zierlicher, gewählter, aber auch preciöser geworden, was gleich von der ersten Scene an hervortritt. Allerdings finden sich auch hier noch vereinzelte Geschmacklosigkeiten und Rohheiten (z. B. in der Anna-Scene); aber im ganzen ist die Darstellung doch schon geschmackvoller und feiner, als in den ersten Dramen. Die Morde sind daher hier auch meist hinter die Scene verlegt, und es ist z. B. charakteristisch, dass die Ermordung der beiden kleinen Prinzen nicht einmal von den Mördern, sondern von dem Auftraggeber erzählt wird. Diese Erzählung ist von einer Zartheit und Poesie, die mehr als alle anderen Scenen den verfeinerten Geschmack des Dichters erweist. Aber es ist ebenso wie in den früheren Dramen bemerkenswert, dass die tiefsten Gemütstöne in Kinderscenen angeschlagen werden. Andererseits ist es bezeichnend, dass in diesem Drama auch hartgesottene Mörder und Bösewichter schon weiche Gemütsregungen und Gewissensbisse haben, wovon in früheren Dramen kaum etwas zu spüren ist. Der Geschmacksverfeinerung entspricht überhaupt eine zunehmende Sensibilität und Nervosität. Von Träumen und Vorahnungen ist viel die Rede. Die meisten Charaktere des Dramas machen einen nervös überspannten, überreizten Eindruck. Nur unter dieser Voraussetzung ist es zu verstehen, wenn Richard seine Todfeindin Anna Neville gleichsam hypnotisiert, oder wenn Königin Margaretha fast als Somnambule auftritt, oder wenn in der Nacht vor der Schlacht die Geister der Gemordeten erscheinen. Mit Recht hat W. Wetz darauf aufmerksam gemacht, dass die Charaktere sichtlich feinfühlender sind als die der frühesten Dramen. Es herrscht nicht mehr die ungezügelt rohe Leidenschaftlichkeit wie in Titus Andronicus oder in Heinrich VI. Die beiden königlichen Frauen, Elisabeth und Anna, sind schon viel sympathischer und feiner gezeichnet als die weiblichen Charaktere früherer Historien. Selbst die böse Margaretha, die als verkörperte Nemesis auftritt, erscheint jetzt durch das Unglück geadelt und idealisiert. Besonders rührend sind aber wieder die Kinderscenen. Das harmlose Geplauder der Kleinen bildet einen ergreifenden Gegensatz zu den Schrecken und Gräueln, die sie umgeben und ihrer warten. Das Kunstmittel der tragischen Ironie wird vom Dichter mehrfach angewandt, z. B. in der Sterbescene Edward's und in den Hastings-Scenen. Was in den früheren Dramen noch nicht recht gelang, hat der Dichter jetzt schon gelernt: eine tragische Stimmung zu erzeugen, freilich mehr mit melodramatischen, pittoresken und statuesken Effekten. Aber der künftige Dichter des Macbeth kündigt sich in diesem Drama schon deutlich genug an. In freierer und kühnerer Weise schaltet seine Phantasie mit dem geschichtlichen Stoffe, als in früheren Dramen. Besonders die Scenen des ersten Akts beruhen fast alle auf freier Erfindung des Dichters oder doch auf selbständiger Ausgestaltung von dürftigen Angaben der Chronik.1) Im zweiten Akt folgt der Dichter seinem Gewährsmann Holinshed (oder Hall) getreuer; die Scenen des dritten Akts sind meist nur poetische, dramatische Paraphrasen von Holinshed's Erzählung. Im vierten und fünften Akt lässt Shakespeare seine Phantasie wieder freier spielen. 1) George Bosworth Churchill hat in seiner Dissert. Richard III. bis Shakespeare (Berlin 1897) nachgewiesen, dass Shakespeare auch die. True Tragedy of Richard III. gekannt und benutzt hat. IX. Verlorene Liebesmüh. Das Lustspiel von Verlorener Liebesmühe wird gewöhnlich erheblich zu früh (etwa 1590) angesetzt, hauptsächlich wohl, weil früher die zahlreichen Reime und Knittelverse als ein Merkmal besonders früher Abfassungszeit galten. Dass die metrischen Kriterien aber untereinander widersprechend sind, und die Abfassungszeit dieses Lustspiels mit ihrer Hilfe nicht zu bestimmen ist, wurde schon von Goswin König gezeigt (Vers in Shakespeare's Dramen S. 137). Wollte man die Dramen Shakespeare's nach dem Prozentsatz an Reimen chronologisch anordnen, so würde man zu einem ganz absurden Ergebnis kommen, z. B. dass Romeo und Julia vor Titus Andronicus, oder Richard II. vor Richard III. anzusetzen sei. Die übertriebene Rücksicht auf das Reim - Kriterium hat die englischen Forscher ja auch zu der Konsequenz geführt, Titus Andronicus und die Trilogie von Heinrich VI., womöglich auch Richard III, Shakespeare abzusprechen, weil diese Dramen nicht so viele Reime aufweisen, wie erwartet wurde. In Lustspielen stellt sich der Reim naturgemäss leichter ein als in Historien oder Tragödien; nur für die letzteren war der Marlowe'sche Blankvers tonangebend. Und Knittelverse sind bei einem possenhaften Lustspiel ebenso leicht begreiflich. Noch schwächer sind die Argumente, welche aus den Anspielungen des Stückes auf eine frühere Abfassungszeit des Lustspiels (etwa 1589-90) schliessen lassen. 1) Solche haltlosen Gründe pflanzen sich, ohne geprüft zu werden, nur zu leicht aus einer Darstellung in die andere fort. Es ist, wenn man den Stil in Betracht zieht, kaum begreiflich, wie einsichtige Litteraturhistoriker das Stück etwa mit Titus Andronicus gleichzeitig ansetzen konnten. Schon allein der gewandtere, längere Periodenbau (z. B. gleich in der Eingangsrede des Königs von Navarra) verrät 1) Vgl. z. B. G. Brandes, William Shakespeare S. 52: „Verschiedene Anspielungen, wie die auf das tanzende Pferd (I, 2), das 1589 zum erstenmal vorgezeigt wurde, sodann die Namen der Personen Biron, Longaville, Dumain (Duc du Maine), die den Männern entsprechen, welche von 1581-1590 in der französischen Politik auftreten, endlich der König von Navarra selbst, der am Schlusse des Stückes als der Bräutigam der Prinzessin Erbe von Frankreich wird, und mit dem sicher Heinrich von Navarra gemeint ist, welcher eben im Jahre 1589 den Thron von Frankreich bestieg, weisen auf 1589 als den Zeitpunkt hin, in dem das Drama in seiner ursprünglichen Gestalt entstanden ist." Die Chronologie ist wohl die schwächste Seite in dem geistvollen Buch von Brandes. Auch in diesem Satze enthält fast jede Zeile eine Unrichtigkeit oder Schiefheit. Das tanzende Pferd (Banks' Horse) ist in Wirklichkeit noch zu Tarlton's Lebzeiten, also vor 1589, gezeigt worden; da aber noch um die Mitte der 90er Jahre Anspielungen darauf bei englischen Schriftstellern (z. B. Th. Nash, Th. Bastard) vorkommen, lässt sich aus dieser Anspielung höchstens schliessen, dass das Lustpiel spätestens etwa um 1595-98 verfasst ist, was wir ohnedies wissen. Der Herzog Henri de Longueville (dessen Vater schon lange vorher gestorben) war um 1590 erst ein junger Mann von etwa 25 Jahren, kann also in der Zeit von 1581-1590 'in der französischen Politik' noch kaum eine Rolle gespielt haben; sein Name wird von französischen Chronisten zuerst im Jahre 1589 erwähnt, sodann 1591-92 bei der Belagerung von Rouen. Der König von Navarra wird am Schlusse des Stückes nicht der Bräutigam der Prinzessin. Ebensowenig hat Heinrich von Navarra schon 1589 den französischen Thron bestiegen; dies geschah vielmehr erst im Jahre 1594, nachdem er sich die Krone erkämpft hatte. |