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Zweites Buch.

Die Bewohner.

Wenn die Hellenen in Skythien ein Land vorfanden, das durch die Bestandtheile und die frische Kraft seines jungfräulichen Bodens einen reichen Lohn für die Mühe des Anbaus versprach, und ein Klima, das viel günstiger war, als sie erwartet hatten, schien die Eigenthümlichkeit der hier hausenden Völkerstämme friedlichen Ansiedelungen keine besonders erfreuliche Aussicht zu eröffnen. Der geringe Grad der unter den nordischen Barbaren verbreiteten Cultur konnte unternehmungslustige Kaufleute zwar zu der Hoffnung berechtigen, dass sie aus dem Verkehr mit Gegenden, in denen Viehzucht, Fischerei und Jagd überaus reiche Erträge lieferten, alle die Vortheile ziehen würden, die für ein in allen Künsten weit vorgeschrittenes Volk aus dem durch Concurrenz nicht beengten Tauschhandel mit ungebildeten Nationen hervorzugehen pflegen, sobald diese die Bedürfnisse eines bequemeren Lebens kennen lernen; aber derselbe Umstand machte es auch fraglich, ob feste Ansiedelungen inmitten roher Nomadenstämme die für ihr Gedeihen erforderliche Sicherheit und die erwünschte Gelegenheit. zur Ausbreitung ihrer Handelsbeziehungen nach dem Innern finden würden. Es ist interessant zu erforschen, wie die Griechen mit der unvergleichlichen Klugheit und Geschmeidigkeit, die dieses seltene Volk für den Verkehr mit den verschiedensten Nationen geschickt machten, die hieraus hervorgehenden Schwierigkeiten durch sorgsame Benutzung aller günstigen Umstände und namentlich durch die Wahl der Punkte, an denen sie sich niederliessen, zu überwinden suchten. Um dieses deutlich zu machen, müssen wir einen Blick auf die Bewohner der Küstenlandschaften werfen, mit denen die Griechen in Verbindung

traten.

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Herodot's Skythen.

Die Hellenen nannten die Stämme, die sie bei ihrer Ansiedelung diesseits des Don fanden, Skythen; die Reitervölker, welche die Steppen zwischen dem Don, der Wolga und dem Kaukasus durchschwärmten, Sarmaten.

Die Vermuthungen über den Ursprung der Skythen haben das Reich der Möglichkeit so vollkommen erschöpft, dass nur die Satyre eine neue Hypothese aufstellen könnte. Einige halten die alten Skythen für einen Zweig der indo-germanischen Völkerfamilie, insonderheit für Slawen oder für Arier; Andere für Türken; Andere für Finnen; noch Andere für Mongolen; die letzte Ansicht, die namentlich von Niebuhr aufgestellt ist, wird von einigen Seiten bereits als veraltet oder gar als „, sonderbar“ bezeichnet. Für jede dieser Meinungen haben sich sehr bedeutende Autoritäten ausgesprochen; zur Zeit scheinen jedoch diejenigen, welche die Skythen für Finnen halten, den meisten Anklang zu finden.

Wo die namhaftesten Gelehrten so erheblich von einander abweichen, konnte es natürlich nicht ausbleiben, dass Einige behaupteten, die Griechen hätten mit dem Namen Skythen kein bestimmtes Volk bezeichnet, sondern unter diesem unbestimmten Sammelnamen alle verschiedenen Völker begriffen, die im Alterthume die weiten Landstriche des heutigen europäischen und asiatischen Russlands durchzogen.

Wenn diese Behauptung richtig wäre, so würden die ernsten Forschungen bedeutender Historiker ein so trauriges Bild fruchtlosen Bemühens darstellen, dass ein zweiter Polygnot auf einem neuen Gemälde der Unterwelt für ein thōrichtes, unerspriessliches Unterfangen kein bezeichnenderes Symbol finden könnte, als einen Gelehrten, der über die Abstammung der Skythen schreibt. Aber die Behauptung ist weniger richtig, als bequem, und die wahre Sachlage folgende.

Das erste Volk, welches die Griechen an der Küste zwischen den Mündungen der Donau und des Dnjepr kennen lernten, nannten sie Skythen; es ist natürlich und eine in der Völkerkunde häufig wiederkehrende Erscheinung, dass in neu entdeckten Ländern der Name des zuerst bekannt gewordenen Volkes auch auf die weiter entfernt lebenden, die allmählich aus dem Dunkel auftauchen, ausgedehnt wird, bis eine genauere Kenntniss wesentliche Stammunterschiede ergiebt. Der Name Skythen kommt in der griechischen Literatur zuerst bei Hesiod vor; wenn alle Werke dieses alten Dichters erhalten wären und wenn er in ihnen die Skythen häufiger erwähnt hätte, würden wir wahrschein

lich die ganze Unbestimmtheit und Elasticität des Ausdrucks erkennen, die der Zeit aufdämmernder Kenntniss natürlich war. Noch zwei Jahrhunderte später bezeichnete der Milesier Hekataios ziemlich unbestimmt alle Völker nördlich vom schwarzen Meere als Skythen; die Melanchlainen oder Schwarzmäntel, die Issedonen sind bei ihm Skythen; und wenn eine Notiz des Byzantiners Stephanos genau ist, nannte er sogar Kaschmir im fernen Asien ein skythisches Vorgebirge1). Ebenso unbestimmt erscheint der Ausdruck bei Hellanikos; er nennt die Maioten. Skythen 2); und selbst ein Zeitgenosse Herodots, der Historiker Herodor, scheint alle Völker nördlich vom Pontos als Skythen bezeichnet zu haben, obgleich wir bei ihm, als einem geborenen Herakleoten, wohl eine genauere Kenntniss jener Gegenden erwarten durften; nach seiner Deutung war Prometheus ein König der Skythen; Skythen schmiedeten ihn an den Felsen, weil er ihr Land vor den Ueberschwemmungen des Flusses Aëtos nicht schirmen konnte 3).

Mit ähnlichen Vorstellungen kam auch Herodot nach Olbia, wo sich damals bereits Skythen angesiedelt hatten. Der Mann, den seine Wissbegierde antrieb, unter den Palmen Babylons die gelehrten Chaldäer aufzusuchen und an den Ufern des Nil sich in die Weisheit ägyptischer Priester einweihen zu lassen, versäumte auch hier nicht, persönliche Beziehungen mit einflussreichen Personen unter den nördlichen Barbaren anzuknüpfen1), und er erfuhr sowohl von ihnen, wie von den zahlreichen Kaufleuten, die nach Norden weite Reisen gemacht hatten und von denen man, wie er versichert, leicht Nachrichten über die nördlichen Völker erhalten konnte, dass hier durchaus nicht überall Skythen wohnten, sondern dass dieser eigenthümliche Menschenschlag im Westen, Norden und Osten von Völkern andern Stammes umgeben war. Ja wir können mit Sicherheit annehmen, dass sich in einer Handelsstadt mit so ausgebreiteten Verbindungen wie Olbia theils des Handelsverkehrs wegen, theils als Sklaven

1) Hecataei Milesii fragmenta ed. Klausen. Berolini 1831. no. 154. 168. 179. Hier heisst es Κασπάπυρος, πόλις Γανδαρική, Σκυθῶν ἀκτή. Kaspapyros ist Kaschmir, das bei den Indern Kâçyapura heisst. Herodot schreibt also (III, 102) unrichtig Kaspatyros. Vgl. Lassen, Keilinschriften von Persepolis S. 111. Kaçyapa war ein Heiliger, welcher den See, der einst das Thal von Kaschmir ausfüllte, abliess und so das Land bewohnbar machte. Klaproth, mémoires rélatifs à l'Asie, II, 218.

2) Hellanici fragm. 92, bei Müller fragm. hist. Graec. I,

P. 57.

3) Schol. Apoll. Rhod. II, 1248. Fragmenta Herodori bei Müller, II, 34. 4) Herod. IV, 76.

stets eine beträchtliche Anzahl nördlicher Barbaren aufhielt, die von den hier lebenden Skythen nicht als Landsleute anerkannt wurden, so dass sich Herodot durch eigne Erfahrung von der Verschiedenartigkeit der im Norden lebenden Stämme überzeugen konnte.

Diese Beobachtung, die einer ungenauen, in Griechenland verbreiteten Ansicht widersprach, bestimmte ihn, die Stammverschiedenheit der nordpontischen Völker scharf zu betonen. Das Volk, welches er Skythen nennt, war im Innern des Landes von Westen nach Osten von den Agathyrsen, Neuren, Androphagen oder Menschenfressern, Melanchlainen oder Schwarzmänteln, und Sarmaten umgeben; auf dem Gebirge der taurischen Halbinsel wohnten die Taurer. Er bezeichnet diese Völker nicht nur im Allgemeinen als Nachbarn des Skythenlandes 1) und dadurch als zu einem andern Stamme gehörig, sondern er hebt auch im Einzelnen die Stammverschiedenheit mit Nachdruck hervor. Die Neuren werden von den Skythen durch einen grossen See getrennt 2); die Androphagen sind „ein eignes und durchaus kein skythisches Volk" 3); sie haben auch eine eigene Sprache 1); eben so sind die Melanchlainen „, ein anderes, nicht ein skythisches Volk“5); und „wenn man über den Tanais kommt, so ist hier nicht mehr skythisches Land, sondern das erste Gebiet gehört den Sauromaten"). Dagegen kennt Herodot im Nordosten inmitten anderer Völker einen Stamm, den er als verwandt mit den Skythen bezeichnet; wobei er sich verständig auf das Zeugniss der pontischen Skythen beruft.

Es ist nicht zu leugnen, dass diese scharfe Betonung der Stammunterschiede nicht bloss eine Berichtigung der gemeinen in Griechenland verbreiteten Ansicht, sondern namentlich eine Polemik gegen Hekataios bilden sollte, den Herodot an mehreren Stellen seines Werkes widerlegt, ohne ihn zu nennen. Allein es hiesse Herodots schlichten Charakter verkennen, wenn man meinen wollte, dass ihn hier Streitsucht zu Behauptungen geführt hätte, von deren Wahrheit er nicht völlig überzeugt war; man kann im Gegentheil sagen, dass er zu sehr geneigt war, als wahr anzunehmen, was ihm von sonst glaubwürdigen Personen berichtet wurde; wo er unentschieden ist, setzt er die widerstreitenden Angaben unparteiisch auseinander, und wo er zweifelt, drückt er seine abweichende

1) Herod. IV, 100.

2) IV, 51.

3) IV, 18.

4) IV, 107.

5) IV, 20.
6) IV, 21.

Meinung in einer Weise aus, welche den überzeugendsten Beweis für sein redliches und unbefangenes Streben nach Wahrheit liefert. Er hatte nicht die Charakterschärfe Strabon's, der, wie an Geist und Gelehrsamkeit, so auch in seiner Neigung und Abneigung ein gewaltiger Mensch war, und der sich durch vereinzelte Irrthümer und zweifelhafte Behauptungen eines Schriftstellers bestimmen liess, das ganze Werk desselben mit tiefem Argwohn und in wegwerfender Weise zu behandeln. Und was Herodots Verhältniss zu Hekataios betrifft, so behandelt er dessen Ruhmredigkeit über seine Ahnen, von der ihm die ägyptischen Priester erzählt hatten, allerdings nicht ohne einen mit Bonhommie gemischten Anflug von Satyre, wie sich überhaupt in seinen Bemerkungen über das angeblich ächtgriechische Blut der Ionier Kleinasiens eine spöttische Färbung nicht verkennen lässt; allein wo er auf den wahren Werth des berühmten Milesiers zu sprechen kommt, auf seine politische Wirksamkeit in der bedenklichsten Periode der ionischen Colonien, stellt er seine Thätigkeit in einem Lichte dar, welches deutlich zeigt, wie weit er von jeder Verkleinerungssucht entfernt war. Herodots Charakter nöthigt uns also, seine Angaben über die Stammverschiedenheit der Völker des Nordens deswegen, weil sie auch eine polemische Bedeutung haben, nicht bloss nicht als zweifelhaft, sondern aus demselben Grunde als auf positiven Kenntnissen beruhend zu betrachten.

Herodot schlug indess nicht den richtigen Weg ein, um in die verworrenen Ansichten über die Völkerverhältnisse des Nordens Klarheit und Ordnung zu bringen. Da sich das Volk zwischen Donau und Don, wie er selbst berichtet, nicht Skythen, sondern Skolot nannte, so konnte man füglich keinen durchgreifenden Einwand gegen die weitere Ausdehnung des Namens Skythen auf andere nordische Völker erheben; es mochte sich vielmehr empfehlen, die zahlreichen Stämme, welche sich auf dem Boden des heutigen russischen Reiches bewegten, ohne Rücksicht auf ihre Verwandtschaft der Kürze wegen unter einer geographischen Benennung zusammenzufassen, und es musste als willkürlich erscheinen, wenn Herodot den hiefür in Gebrauch gekommenen Namen auf einen bestimmten Stamm ausschliesslich fixiren wollte. Wirksamer wäre es gewesen, wenn er versichert hätte, es gäbe hier überhaupt keine Skythen; das Volk, welches man mit diesem fingirten Namen benenne, hiesse Skolot; und wenn er nun in der consequenten Anwendung des ächten Volksnamens die Bahn gebrochen hätte. Zu einem so durchgreifenden Verfahren war er aber nicht geeignet; er hatte leider eine entschiedene Neigung, barbarischen Namen eine griechische Form zu geben, und der Name Skythes hatte einen so griechi

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