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Verhältnisse, durch welche die allgemeinen Grundsätze vielfach modificirt werden, noch nicht erschöpfend berücksichtigt wird. Lebhafte Systematiker, namentlich wenn sie die richtige Spur der Wahrheit gefunden haben, schweben stets in der Gefahr, aus einer häufig vorkommenden, auffallenden Combination von Ursache und Wirkung auf ein stets gültiges Naturgesetz, aus dem Vorhandensein gewisser bekannter Ursachen auf das Vorhandensein der nach ihrem System nothwendigen Wirkungen, und umgekehrt, mit zu grosser Sicherheit zu schliessen. Man wird es demnach immerhin für möglich halten, dass auch Hippokrates entweder aus den ihm bekannten klimatischen Verhältnissen Skythiens auf die seiner Meinung nach dadurch bedingte physische Beschaffenheit des dort wohnenden Volkes, oder, wenn ihm die letztere bekannt war, auf das ihm unbekannte Klima geschlossen hat. Dass er aus eigner Anschauung von der klimatischen Beschaffenheit Skythiens Kenntniss gehabt hat, ist nicht nachweisbar; er schildert zwar das kolchische Klima mit einer sehr überraschenden Wahrheit und macht auch in Bezug auf die skythischen Flüsse eine schon oben von uns angeführte Bemerkung, die von scharfer Beobachtung zeugt; allein seinen klimatischen Angaben ist doch so viel Falsches beigemischt, dass wir einen längern Aufenthalt im Skythenlande, wie er zur Beurtheilung klimatischer Verhältnisse nothwendig ist, bei ihm nicht voraussetzen, sondern in seinen richtigen Anmerkungen nur die Einzelnheiten wiederfinden können, die ihm von sachkundigen und aufmerksamen Beobachtern mitgetheilt waren. Dagegen wird nicht bezweifelt werden können, dass er selbst in seiner Heimath oder in Athen skythische Sklaven gesehen hat; und so liegt die Vermuthung nahe, dass er nach seinem System aus der ihm bekannten körperlichen Beschaffenheit des Volks sich ein Bild des skythischen Klima's entworfen hat, zu dem er übrigens in den alten Gedichten und in neuern Mittheilungen einige Grundzüge gefunden zu haben glaubte. Wie wir aus Strabon sehen, hatte man schon im Alterthum die Idee, dass Homer durch positive Nachrichten über die am Nordufer des schwarzen Meeres wohnenden Kimmerier zu der von den Kimmeriern handelnden Episode seiner Dichtung veranlasst sei; nach Strabon behandelte er das hieraus entlehnte Motiv mit poetischer Freiheit, hauptsächlich darin, dass er, wie der Zusammenhang des Gedichts es erforderte, die Kimmerier nach dem äussersten Westen versetzte. Ein neuerer Reisender, der lebendige Dubois de Montpéreux, geht noch weiter: er versetzt Odysseus' Irrfahrten überhaupt in das schwarze Meer, und verficht diese Erklärung, für die sich mindestens nicht weniger als für jede

andere sagen lässt, mit Geist und Sachkenntniss, oft in höchst überraschender Weise. Es scheint mir, dass Strabon's Bemerkung über die Kimmerier auch für alle übrigen Beziehungen vollkommen anwendbar ist: Homer konnte die pontische Küste offenbar besser kennen, als Sicilien oder gar Spanien, und positive Nachrichten über den an wunderbaren Arzneikräutern reichen südöstlichen Winkel des Pontos, über die zahlreichen, übelriechende Gasarten aushauchenden und Schlamm ausströmenden Hügel der heutigen Halbinsel Taman, des alten Kimmerierlandes u. dgl., gewährten ihm die Motive zu den Dichtungen von der Zauberin Kirke, dem Kokytos, den Kimmeriern u. s. W., die er frei gestaltete; die Argonautenfabel, deren Schauplatz diese Gegenden bilden, ist älter als die homerischen Gedichte. Als später die pontischen Küstenländer bekannt wurden, musste die Anwendbarkeit vieler homerischen Stellen auf sie natürlich auffallen, und so wurde man veranlasst, auch die dichterischen Zusätze auf sie zu übertragen. Nun waren die homerischen Verse von dem in Nebel und Wolken gehüllten Kimmerierlande, dessen schreckliches Dunkel nie durch einen Sonnenstrahl erhellt würde, aller Welt geläufig und man bezog sie auf die wirklichen Ursitze der Kimmerier; später hörte man, dass im Skythenlande eine Limne sei, die Maitis, wie auch Herodot glaubte, nicht kleiner als der Pontos Euxeinos selbst; dass dort zahlreiche und sehr gewaltige Ströme wären; Herodot liess diese fast sämmtlich aus Seen oder Sümpfen entspringen; - ist es da zu verwundern, dass man sich Skythien als feucht dachte? Die ewigen kimmerischen Nebel, die Unwirksamkeit des Sonnenlichts, grosse Ströme, mcerartige Gewässer, Seen und Sümpfe waren, wie mich dünkt, Elemente genug, die auch einen Mann wie Hippokrates veranlassen konnten, sich sein Bild von dem skythischen Klima zu construiren, welches mit den Grundsätzen seines Systems so sehr im Einklange stand.

Dennoch glaube ich, dass Hippokrates' Worte sehr lehrreich sind. Als er schrieb, standen einige Colonien an der nordpontischen Küste schon seit zwei Jahrhunderten; ihr Ackerbau war alt; schon zur Zeit der Perserkriege wurde Griechenland vom Pontos aus mit Getreide versorgt; es ist also sicher, dass die dortigen Colonien mit den hellenischen Staaten zu Hippokrates' Zeit mindestens seit einem halben Jahrhundert durch den Getreidehandel in lebhaften Verkehr getreten waren. Wenn nun die nordpontische Küste im Alterthum eben so durch Dürre gelitten hätte, wie jetzt, so musste dieses Uebel besonders dem Getreidebau fühlbar geworden sein und konnte unmöglich ein halbes Jahrhundert und länger in den Gegenden, die von dort her einen beträcht

lichen Theil ihres Getreidebedarfs bezogen, so vollkommen unbekannt bleiben, dass ein so kenntnissreicher und umsichtiger Mann wie Hippokrates, die bedeutendste medicinische Celebrität und nichts weniger als ein Stubengelehrter, bei der diametral entgegengesetzten Ansicht von der Nässe des skythischen Klima's verharren und aus ihr eine der Hauptstützen seines Systems machen konnte. Andere Irrthümer, über die schreckliche Kälte und dass dort alle Jahreszeiten ziemlich gleichmässig kalt wären, mochten sich erhalten; der Glaube an die Feuchtigkeit Skythiens konnte es nicht, wenn die Colonisten dort das directe Gegentheil gefunden hätten, eine Trockenheit, welche den Ackerbau die Basis ihres Handelsverkehrs und ihres Wohlstandes, gefährdete. Wenn er sich dennoch in Attika, das aus der taurischen Halbinsel Getreide bezog, und bei einem Hippokrates erhielt, so scheint mir darin ein Beweis zu liegen, dass die Colonisten sich nicht über eine auffallende Trockenheit zu beklagen hatten und dass sie sich nicht durch eine ihren Erwartungen geradezu entgegengesetzte Wirklichkeit zur Berichtigung eines alten Vorurtheils veranlasst fühlten.

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Diese Auffassung wird durch Herodots Zeugniss bestätigt und vervollständigt. Die hiesige Witterung," sagt er, „unterscheidet sich wesentlich von der in andern Gegenden herrschenden; denn die Frühlingsregen sind hier nicht der Rede werth, während es im Sommer nicht aufhört zu regnen; und in der Zeit, in der an andern Orten Gewitter sich bilden, bilden sie sich hier nicht; im Sommer aber sind sie häufig; und wenn es im Winter gewittert, wird es wie ein Wunder betrachtet 1)".

Ich sehe nicht, wie man über diese detaillirte Angabe eines besonnenen Mannes, der an Ort und Stelle war, und Vieles gesehen hatte, ohne eine ungerechtfertigte Zweifelsucht hinwegkommen will. Es scheint mir, dass Herodot hier eine auffallende Besonderheit des achten Continentalklima's nicht unglücklich charakterisirt hat, die Besonderheit, dass unmittelbar auf Frühlingsanfang mehrere warme, trockne Wochen folgen, während sich im Hoch- und Spätsommer Regengüsse einstellen, die den Landmann um so eher zu Klagen über anhaltende Nässe bewegen, da sie in die Erntezeit fallen 2). Mit solcher klimati

1) Κεχώρισται δὲ οὗτος ὁ χειμὼν τοὺς τρόπους πᾶσι τοῖσι ἐν ἄλλοισι χωρίοισι γενομένοισι χειμῶσι· ἐν τῷ τὴν μὲν ὡραίην οὐκ ὕει λόγου άξιον οὐδὲν, τὸ δὲ θέρος ὕων οὐκ ἀνίει, βρονταί τε ἦμος τῇ ἄλλῃ γίνονται, τηνικαῦτα μὲν οὐ γίνονται, θέρεος δὲ ἀμφιλαφίες· ἦν δὲ χειμῶνος βροντὴ γένηται, ὡς τέρας θωυμάζεται. Herod. IV, 28.

2) In einem Pergament-Evangelium vom J. 1144 hat Karamsin altrussische

schen Beschaffenheit stimmt die Angabe über die Sommergewitter vollkommen überein; in Griechenland selbst stellten sich nach Arrhians Zeugniss die meisten Gewitter im Frühling und im Herbst ein 1).

Ein derartiges Klima, wie Herodot es schildert, scheint die Uebergangsstufe von dem gemässigten Continental- zum eigentlichen Steppenklima zu bilden. Es herrscht jetzt in den Landstrichen, wo die grossen geschlossenen, bis in die Polargegenden sich erstreckenden Ländermassen beginnen. Wenn sich in einer Gegend die Luft durch die Frühlingssonne allmählich erwärmt hat, so ziehen sich, sobald die schöne Jahreszeit weiter vorgerückt ist, aus kältern Himmelsstrichen wolkenführende Luftströme dorthin; das Gewölk entladet sich jedoch nur dann, wenn die Kraft der von dem erwärmten Boden aufsteigenden heissen Luftsäulen nicht zu stark ist. Das Letztere tritt ein, sobald das Land eine baumleere Steppe ist; auf Steppenboden wird die Verdunstung der Feuchtigkeit schnell vollendet, die Austrocknung und Wärmestrahlung des Bodens beginnt früh, und der aufsteigende Wärmestrom gewinnt im Hochsommer eine solche Intensität, dass er das Sommergewölk in die Höhe führt und verflüchtigt. Es scheint mir demnach, dass Herodot die dem jetzigen Steppenklima Neurusslands vorangegangene klimatische Entwickelungsperiode bezeichnet hat.

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Es wird immer gut sein, nicht zu vergessen, dass Herodot nur in Olbia war, dass er weiter nach Osten nicht gereist ist, dass seine Worte vielleicht also nur für das heutige Gouvernement Cherson gelten. Wenigstens finden wir in Bezug auf die Kumasteppe bei Diodor eine Notiz, welche bereits ein ächtes Steppenklima veranschaulicht. In dem Theile Skythiens," sagt er, ,, der sich an das kaukasische Gebirge anlehnt, soll, wenn der Winter schon vergangen ist, noch alljährlich ganz ungewöhnlich heftiges Schneegestöber eintreten und mehrere Tage anhalten" "). Das ist für diese Gegenden, in denen die Frühlingsvegetation schon im Februar beginnt und die dennoch allen Einflüssen des Boreas ausgesetzt sind, sehr richtig und bezeichnend.

Monatsnamen gefunden. Hier heisst der März merkwürdiger Weise Suchi, der trockne. S. Karamsin, Gesch. des russ. Reichs, übersetzt von Hauenschild (Riga 1820), Bd. I, S. 58.

1) Siehe Ideler, meteorologia veterum Graecorum et Romanorum p. 162. Auch von Italien sagt Plinius (hist. nat. II, c. 51): hieme et aestate rara fulmina.

2) Πρὸς μὲν γὰρ τοῖς ὅροις τῆς Σκυθίας τοῖς πρὸς τὸ Καυκάσιον ὄρος συνάπτουσι, παρεληλυθότος ἤδη τοῦ χειμῶνος, καθ ̓ ἕκαστον ἔτος νιφετοὺς ἐξαισίους γίνεσθαι συνεχῶς ἐπὶ πολλὰς ἡμέρας. Diod. Sic. I, 41.

Waldvegetation im Alterthum.

Wir haben oben bemerkt, dass die Trockenheit der Luft in den südrussischen Steppen zwar auch durch die Einförmigkeit der Bodenerhebung und die durch sie bedingte Art des Verdunstungsprocesses, hauptsächlich aber durch den Waldmangel bewirkt wird. Wenn nun jene Eigenthümlichkeit des Steppenklima's zu Herodots Zeit wenigstens in dem westlichen Theile der jetzigen Steppen nicht bemerkt wurde, so fragt es sich, ob die Hauptursache derselben, der Waldmangel, damals nicht vorhanden war. Die bisher hierüber ausgesprochenen Meinungen gehen so weit auseinander, dass nach Einigen die Steppe einst. vollständig, nach Andern nie bewaldet war. Jene Ansicht hat Herrmann aufgestellt und die gänzliche Vertilgung der Wälder den Nomaden zugeschrieben, die seit Jahrtausenden diese Landschaften durchstreift haben. Es ist möglich, dass er für vorhistorische Zeiten Recht hat; seine Ausführung hat viel innere Wahrheit, entbehrt aber aller positiven Beweise, die nur aus einer sorgfältigen chemischen Untersuchung der Bodenbestandtheile entnommen werden können. Bär hat Herrmann's Ansichten mit einer schwerbegreiflichen Gereiztheit angegriffen und sie durch Missverständnisse, Uebertreibungen und eigene, nicht gerade geistreiche Erfindungen lächerlich zu machen gesucht '). Das Vieh der Nomaden ist nicht deshalb den Wäldern so gefährlich, weil es weniger gesittet" ist, als das Vieh der Kronbauern, sondern weil die Heerden eines lediglich mit Viehzucht sich beschäftigenden Volkes ungleich ausgedehnter sind, weil sie schon deshalb schwerer beaufsichtigt werden können und namentlich weil sie ohne Rücksicht auf den Schutz der Wälder beaufsichtigt werden, die für den Nomaden in der That nicht nur keinen Werth haben, sondern ihm geradezu aus vielen Gründen verdriesslich sind. Dass das Vieh, wie Herrmann behauptet, die jungen Baumpflanzen lieber frisst, als das Gras, ist im Allgemeinen allerdings nicht richtig; aber einerseits ist dieses weder die einzige, noch die bedeutendste Art, in der das Vich den Bäumen schadet; und andererseits ist es Jedem, der zu solchen Beobachtungen Gelegenheit hatte, bekannt, dass Füllen z. B. mit besonderm Vergnügen die Rinde junger Bäume benagen und ihnen dadurch verderblich wer

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1) Bär's Vorrede zu Köppen's Bericht über den Wald- und Wasservorrath im Gebiete der obern und mittlern Wolga. Im vierten Bande der Sammlung von Bär und Helmersen.

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