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Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.

Von

Hermann Isaac.

I. Kritische Einführung.

das darf

Die Neuheit der in der folgenden Untersuchung anzuwendenden Methode mag es entschuldigen, wenn ich in diesen einleitenden Erörterungen weiter aushole, als es für die vorliegende philologische Aufgabe unbedingt erforderlich ist. Zwar ist diese Methode nicht so neu, dafs sie nicht bereits ich objektiv behaupten einen praktischen Erfolg aufzuweisen hätte. Da aber die engere Shakspere-Gemeinde in Deutschland verhältnismäfsig klein ist und keineswegs alle diejenigen umfafst, welche ein mehr als ästhetisches Interesse an dem gröfsesten Dramatiker nehmen, so darf ich meinen Aufsatz im vorjährigen Shakspere-Jahrbuch-,,die Sonett-Periode in Shaksperes Leben" wohl nicht als allen Fachgenossen bekannt voraussetzen und die Berechtigung des darin eingeschlagenen kritischen Verfahrens, mich zum Teil wiederholend, vor einem gröfseren Leserkreise entwickeln.

Als ich im Jahre 1877 für die in den beiden folgenden Jahren veröffentlichte Arbeit über Shaks peres Liebes-Sonette* seine lyrischen Gedichte einem eingehenden Studium unterzog, fiel mir auf die Übereinstimmung zahlreicher Bilder und Gedanken, ja ganzer Sonette mit gewissen Stellen in den Dramen. Ohne einen bestimmten praktischen Zweck vor Augen zu haben,

*,Zu den Sonetten Shaksperes": Herrigs Archiv Bd. LIX, S. 155-204, 241–272; LX, 33–64; LXI, 177-200, 393-426; LXII, 1—30, 129–172.

schien es mir interessant, die Dramen nach solchen Parallelismen zu durchforschen. Die Ausbeute dieser Arbeit war eine unerwartet, staunenswert reiche: es fand sich, dafs es in den Sonetten verhältnismäfsig wenige Bilder, Gedanken, Empfindungen gab, die nicht in den Dramen ihre mitunter mehrfache, ja vielfache Wiederholung fänden. Wäre wohl eine ähnliche Erscheinung bei unseren Klassikern nachzuweisen? Sicher nicht. Shakspere hatte nach dieser Richtung hin einen anderen Standpunkt seinen Produktionen gegenüber als heutige Dichter; was heute den Vorwurf beschränkter Fruchtbarkeit begründen würde: sich selbst zu wiederholen hielt Shakspere für erlaubt. Ein Dichter von so unermesslicher Schöpferkraft durfte das freilich, ohne seinen Ruhm zu schädigen, thun.

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An diese Beobachtung knüpfte sich als selbstverständlich die Frage nach dem synchronistischen Verhältnis dieser Wiederholungen: kehrten sie in den Stücken der verschiedensten Perioden wieder? fand sich z. B. ein Sonett-Gedanke im Tit.* und Temp., ein anderer in Gentl. und Lear, oder auch nur in R. III und H. VIII zugleich? Nein. Die überwiegende Mehrzahl der spätesten Dramen stand mit den Sonetten in keinem gedanklichen oder poetischen Zusammenhang. Dagegen fanden sich die Parallelen zu sämtlichen Liebes- und dem gröfseren Teile der Freundschafts-Sonette mit unerheblichen Ausnahmen nur in den Jugenddramen. Zu dem anderen Teile der Freundschafts-Sonette offenbar der reiferen, klassischen Produkte fanden sich eine beträchtliche Reihe zum Teil auffallendster Übereinstimmungen in den Dramen der letzten neunziger Jahre des 16. und der ersten des 17. Jahrhunderts. Das war eine erfreuliche Entdeckung. Ohne dafs ich die Parallelismen im einzelnen gesichtet, nach Sonett-Gruppen zusammengestellt hatte, war mir klar, dafs die Abfassungszeit der Sonette sich von den letzten Achtzigern bis in den Anfang des neuen Jahrhunderts erstrecke; dass man zwei Sonett-Perioden, eine jugendliche und eine reifere, zu unterscheiden habe.

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Die Titel der einzelnen Dichtungen gebe ich mit geringfügigen Abweichungen in den allen Shakspere-Kundigen geläufigen Abkürzungen des Shakspere-Lexikons.

Weiter aufklärend wirkten die massenhaften Parallelen, die ich in den zeitgenössischen Sonettisten und schliefslich auch in den italienischen Muster-Lyrikern - Dante, Petrark und Tasso ja, sobald von Liebe die Rede war, selbst in den Epen jener Zeit im Befreiten Jerusalem", im ,,Rasenden Roland", im „Don Quixote" - entdeckte.

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Überall dieselben Gedanken

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d. h. die aus den betreffenden beiden Dialogen Platos entwickelten italienischen Liebestheorien überall dieselbe Einkleidung im Ausdruck, Bild, Konzept, in der Antithese, Hyperbel d. h. die von Petrark kultivierten Formalien, die wohl zum gröfsten Teile provençalischen Ursprungs sind. Weshalb sollte also wohl der einzelne Dichter sich nicht selbst wiederholen, wenn er ohne Bedenken alles, was er in anderen Dichtern fand, zu seinem Eigentume machte? Die Unselbständigkeit der damaligen Lyriker geht so weit, dafs sich eine Reihe von Petrarkischen Sonetten mit unbedeutenden Abweichungen bei verschiedenen anderen Dichtern wiederfinden; das traurig berühmte Sonett:

Mich floh der Friede, floh die Kraft zum Kriege;
Ich lodre, bin ein Eis, frohlock und bange....

hat jeder mir bekannte Sonettist nachgeahmt, d. h. zum Teil nahezu übersetzt, Shakspere im 75. Sonett mit der ihm eigenen selbstherrlichen Art.

In der genannten Arbeit des Shaks pere-Jahrbuches, die mir erst sechs Jahre später möglich wurde, machte ich den Versuch, die Abfassungszeit der Sonette nach diesen Parallelismen zu bestimmen; was mir durch die auffallende Beobachtung erleichtert wurde, dafs gewisse Sonett-Gruppen sich an gewisse andere Dichtungen hervorragend anlehnten. So liefs sich der Gedankengehalt der ersten siebzehn sogenannten Prokreations-Sonette fast vollständig in Ven. nachweisen. Dafs also Ven. womöglich schon in Stratford gedichtet, die Prokreations-Sonette etwa ums Jahr 1599 entstanden und an Pembroke gerichtet sein sollten, war unmöglich: beide Dichtungen gehörten offenbar in eine sehr frühe Zeit des Shakspereschen Schaffens. Wenn nach Ven. Rom. die merkwürdigsten Übereinstimmungen mit diesen Sonetten und noch auffallendere mit den Reiseliedern aufwies, so

war damit

angedeutet, dafs Freundschaft und Liebe nicht zu verschiedenen Zeiten seines Lebens das Herz unseres Dichters erfüllt haben können. Die Sonett-Reihe, der ich den Namen „Liebeslust und -leid" beilegte, schlofs sich unzweifelhaft an LL.* an unter anderem ist ein Sonett fast wortgetreu in dem Drama wiederholt. Wenn ich nun auch zugeben will, dafs einzelne Sonette von mir für jugendliche angesehen sein mögen, die in eine spätere Zeit gehören, ** so halte ich doch die Entstehung von ca. 120 Sonetten in den ersten neunziger Jahren (und früher) so lange für fest bewiesen, als mir nicht neben meinen ca. 350 Parallelismen mit den Jugenddichtungen ebenso viele in späteren Dramen nachgewiesen werden. Eine solche Widerlegung meiner Theorie wird nie gelingen. Neben diesem litterarhistorischen hat meine Untersuchung noch einen anderen Erfolg gehabt, der mir zu grofser Genugthuung gereicht: die abenteuerliche Masseysche Sonett-Interpretation, von der ich lebhaft bedauere, dafs sie jemals in Deutschland irgend welchen Anklang gefunden hat, ist endgültig aus dem Felde geschlagen. Wenn jetzt noch jemand für möglich halten sollte, dafs Shakspere bis zum Ende des Jahrhunderts im Interesse des Earl of Southampton und seiner Miss Vernon Liebesgedichte geschrieben oder gar dem eigens von Massey erfundenen unsittlichen Verhältnisse zwischen dem jungen W. Herbert, späteren Earl of Pembroke, und der doppelt so alten Lady Penelope Rich poetischen Vorschub geleistet habe, so kann man nur annehmen, dass er die einschlägige Litteratur nicht kennt.

Aus dem Vorstehenden ergiebt sich die Möglichkeit als solche, Parallelismen zwischen den einzelnen Dichtungen Shaksperes für die Bestimmung ihrer Abfassungszeit zu verwerten. Und obgleich ich mich nicht der überschwenglichen Hoffnung hingebe, dafs auf diesem Wege die Chronologie aller Dramen mit annähernder Gewissheit festzustellen sein wird, so glaube ich doch bestimmt, dafs eine eingehende Betrachtung der ge

* Love's Labour's Lost.

** Auf jedes Sonett kommen durchschnittlich drei Parallelstellen in den Dramen; aber nicht jedes Sonett hat Parallelstellen. Und aus sechzehn Zeilen einen bestimmten poetischen Stil zu erkennen, ist mitunter unmöglich.

danklichen Übereinstimmungen für dieses Gebiet der ShakspereForschung vielfach nützlich zu verwenden sein wird. Vor zu weit gehenden Erwartungen mufs uns schon die eine Thatsache bewahren, dafs die Parallelstellen in den späteren Dichtungen (von der Mitte der Neunziger ab) bei weitem nicht so zahlreich sind als in den Jugenddichtungen: der männliche Dichter mit seiner unendlichen Gedankenfülle hat naturgemäfs viel geringere Veranlassung, sich zu wiederholen, als der jugendliche Anfänger, der wenigstens auf dem Gebiete der Liebe in einer konventionellen Form des Denkens und des poetischen Ausdrucks befangen ist.

Was aber können einzelne oder in geringer Anzahl vertretene Parallelismen beweisen? Weshalb sollte der Dichter nicht einen im Jahre 1595 glücklich gefundenen prägnanten Ausdruck, ein sprechendes Bild im Jahre 1605 wiederholen? Waren ihm doch solche Reminiscenzen nur zu nahe gelegt, da er seine früheren und frühesten Erzeugnisse immer wieder auf der Bühne an seinem Geiste vorüberziehen sah. Und konnte nicht zu noch weiter auseinander liegenden Zeitpunkten auch ohne diese mnemonische Anregung - die gleiche Situation den gleichen Gedanken in ihm erwecken?

Gewifs. Und so finden wir wirklich Übereinstimmungen zwischen sehr frühen und sehr späten Dramen, die sich vorzugsweise freilich mehr auf äufserliche Darstellungsmittel als auf den geistigen Gehalt erstrecken. Darum können auch solche formalen Wiederholungen niemals an sich beweisend sein, sondern höchstens anderweitig erbrachte Beweise stützen helfen. Diese Beobachtung trifft aber doch nur die eine Seite der Sache: sie für die Bedeutung der Parallelstellen als allein mafsgebend zu halten und die letzteren als kritisches Material gänzlich zu verwerfen, hiefse oberflächlich verfahren. Ich stelle ihr eine andere Beobachtung gegenüber, die jeder ohne besonders tiefe Kenntnis Shaksperes zu machen im stande ist. Man stelle die Liebesverhältnisse in Rom. und in Wint. in Gedanken nebeneinander: es ist wahr, sie sind ihrem Wesen nach nicht identisch, in Juliet ist die heifs begehrende, in Perdita die keusch beherrschte Liebe verkörpert; aber Florizel stürmt, wie Romeo, über alle äufseren Hindernisse, die vor der Erfüllung seiner

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