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vorstehenden Versen ist durch Ramler viel kräftiger geworden (Fabellese I, XLVI, S. 87-88):

So sprach ein kluger Mann nicht ohne Glimpf,
Als einst sein junges Weib in Zorn entbrannte,
Und Evens Fall, mit vielem Spott und Schimpf,
Bald Blödsinn hiefs, bald tolle Gaumsucht nannte.

Bedenklich bleibt hierbei nur das Wort „, Gaumsucht", welches anderwärts kaum vorkommen dürfte. Zur Erklärung desselben reicht die Bedeutung von „Sucht" = ,,krankhafte Begierde" (Sanders Handwörterbuch) nicht aus; wir müssen das Wort als synonym dem stammverwandten Nomen „Seuche" ansehen (vergl. „Maul- und Klauenseuche").

Weitschweifigkeiten und Längen im Ausdruck finden sich in den Hagedornschen Fabeln nicht selten. Hier war wieder eine Gelegenheit für den litterarischen Ziergärtner, Gleichmässigkeit der Form, sowie Luft und Licht dem poetischen Wildling zu schaffen. So z. B. findet sich folgende Schilderung einer öden Gegend in der Fabel „Aurelius und Beelzebub" (Recl. Ausg. S. 147) V. 57 ff.:

Sein Führer bringet ihn in einen öden Wald

Von heiligen, bemoosten alten Eichen,

Der Sitz des Czernebocks, der Gnomen Aufenthalt,

Die Schlachtbank vieler Opferleichen.

Hier herrscht, fast tausend Jahr, ein schwarzer, wilder Schrecken

In grauser Finsternis. Den unwirthbaren Sitz

Verklärt, doch selten nur, ein roter, schneller Blitz.

Hier sollte sich der Trost Aurels entdecken.

Hier blieb der Fliegenfürst und sein Gefährte stehn.

Dagegen schliefsen sich an die Worte „Die Schlachtbank vieler Opferleichen“ in der Fabellese B. IV, Nr. XLII, S. 517, mit Hinweglassung der in den nächsten vier Zeilen gegebenen, ganz überflüssigen Beschreibung, die Worte: „Hier bleibt der Fliegenfürst und sein Gefährte stehn.“

In dem wiederholt angeführten Gedichte „Adelheid und Heinrich" oder „die neue Eva und der neue Adam" (Recl. Ausg. S. 220-224) findet sich folgende Stelle (V. 41 ff.): Beschäme denn die Even unsrer Zeit,

Die Probe soll nichts Schweres in sich fassen.
Was heute dir dein Heinrich hart verbeut,

Das hast du stets freiwillig unterlassen.

Wem ist nicht hier der Entenpfuhl bekannt,
Die dir wie mir so sehr verhafste Lache,
Wovon du sonst die Augen abgewandt?
Ich glaube nicht, dafs ich dich lüstern mache.
Nur diesen Pfuhl verwehrt dir mein Gebot:
Gehst du ins Bad, wie sonst, dich abzukühlen,
So hüte dich, in seinem Schlamm und Kot,
Von morgen an, mit blofsem Fufs zu wühlen.
Dafür bringt die „Fabellese“ folgende Fassung:
Beschäme denn die Even unsrer Zeit!

Die Probe soll nichts Schweres in sich fassen.
Was heute dir dein Heinrich hart verbeut,

Das hast du stets freiwillig unterlassen.

Wenn du, wie sonst, den Weg durchs Nufsgesträuch

In unser Bad nimmst, dich dort abzukühlen,

So hüte dich, im nahen Ententeich

Von morgen an mit blofsem Fufs zu wühlen.

.....

Vier Hagedornsche Zeilen sind wiederum bei Ramler ausgefallen: „Wem ist nicht hier der Entenpfuhl bekannt lüstern mache." Die letzte derselben: „Ich glaube nicht, dafs ich dich lüstern mache", ist offenbar nur aus Versnot hineingesetzt worden, hat aber vor der Mitteilung des Verbotes nur den Wert einer höchst überflüssigen Parenthese. Hierher gehört auch die kleine Fabel: „Der Hirsch und der Eber" (Recl. Ausg. S. 204), von der die sieben ersten Zeilen lauten:

Ein Eber fragt den Hirsch: was macht dich hundescheu?
Für mich gesteh ich gern, dafs ich es nicht begreife.

Du hörst so scharf als sie. Wie schnell sind deine Läufe?

Wie fürchterlich ist dein Geweih?

Und da du gröfser bist, so solltest du dich schämen,
Vor Kleinern stets die Flucht zu nehmen.

Was ist es immermehr, das dich so schrecken kann?

Vergleichen wir damit die Fabellese B. II, Nr. IX, S. 155:
Ein Eber fragt den Hirsch: was macht dich hundescheu?
Du bist so grofs! und dein Geweih

So furchtbar! Solltest du dich nicht im Herzen schämen,
Vor Kleinern stets die Flucht zu nehmen?

Ich weifs wahrhaftig nicht, was dich so schrecken kann.

Von Ramler sind zwei Zeilen ausgelassen, um die behagliche Breite der Rede einzudämmen und um einen schlechten Reim (begreife Läufe) zu tilgen. Das altertümliche „immermehr“ in der

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Frage: Was ist es immermehr, das dich so schrecken kann?" (mhd. iemer mêre stets von neuem) ist ersetzt durch die verständlichere Phrase: „Ich weifs wahrhaftig nicht, was" u. 8. w. Wie durch solche Streichungen, besonders wenn sie sich auf überflüssige Strophen erstrecken, ein Gedicht nur gewinnen kann, zeigt v. Hagedorns Fabel: „Der Hase und viele Freunde" (Recl. Ausg. S. 115-117). Vor dem Beginne der Erzählung steht eine zwei Strophen umfassende Moral, die Ramler, einem richtigen Grundsatze huldigend, weggelassen hat. Für uns ist aber die Ausmerzung der vierten Strophe wichtiger, die wir wohl nicht vermissen, wenn wir in der Fabellese folgendes hintereinander lesen (B. II, Nr. XXI, S. 177–178):

(Str. 4 bei v. Hagedorn Str. 2 bei Ramler.)

Einst wandt' er sich zu seinen Freunden,
Um Rath und Beistand sie zu flehn,

Den Hunden, seinen ärgsten Feinden,
Zu steuern oder zu entgehn.

Man sprach: Dein Leben zu erhalten,
Soll unser Eifer nie erkalten;

Wer deinem Balg ein Härchen krümmt,
Dem ist von uns der Tod bestimmt.

(Str. 6 bei v. Hagedorn Str. 3 bei Ramler.)
Nun lebet Hänsel ohne Sorgen,
Stets unverzagt und ungestört.

Er sieht, wie sich an jedem Morgen

Bey jedem Thau sein Frühstück mehrt.

Sein rascher Fufs verlässt die Wälder,

Schweift durch die Gärten, durch die Felder,
Wo ihn in stolzer Sicherheit

Laub, Kraut und junge Saat erfreut.

Bedarf es wohl noch einer anderen Strophe als der zuletzt angeführten -die übrigens einige geringe Abweichungen vom Original aufweist, um das Stillleben des vertrauensseligen Hasen zu schildern? Bei v. Hagedorn findet sich freilich zwischen jene beiden die folgende (fünfte) Strophe eingefügt:

Der muntre Hänsel ist zufrieden,

Und schätzt sich grofsen Hansen gleich.
Die Sicherheit, die ihm beschieden,
Vertauscht er um kein Königreich.
Ihn will so mancher Beistand schützen;
Was darf er nun in Ängsten sitzen?

Nein, unter vieler Starken Hut

Fehlt es auch Hasen nicht an Muth.

Der Kritiker hatte vom ästhetischen Standpunkte aus vollständig recht, als er diese Strophe entfernte. Betrachten wir schliesslich noch den Anfang der schon einmal erwähnten Fabel: „Der Bär und die Liebhaber seines Gartens" (Recl. Ausg. S. 118):

1. Ein unerfahrner Bär voll wilder Traurigkeit,

Den in den dicksten Wald sein Eigensinn verstecket,

Vertrieb, unausgeforscht, durch Klipp' und Berg gedecket,
Wie ein Bellerophon die Zeit.

2. Hier sträubet sich der Petz; er liebt nur diese Kluft,
Und meidet stets die Spur der Bären, seiner Brüder.
Mit Brummen wälzt er sich im Felsen auf und nieder;
Sein schwaches Haubt scheut freie Luft.

3. Dies macht ihn ganz verwirrt. Ihm gleicht vielleicht die Zunft
Der Weisen dunkler Art, der schweren Sonderlinge;

Die fliehen Licht und Welt und haschen Wunderdinge;

Nur nicht die Gabe der Vernunft.

Zunächst hat Ramler in Str. 1 eine mythologische Anspielung auf das hilflose Umherirren des geblendeten Bellerophon, welche erst durch eine gelehrte Anmerkung verständlich wird, aufgegeben (Fabellese B. II, Nr. LVIII, S. 275):

Ein ungeschlachter Bär voll finstrer Traurigkeit,

Im ödesten Gebirg' aus Eigensinn verstecket,

Vertrieb, unausgeforscht, durch Klipp' und Wald gedecket,
Einsiedlermäfsig sich die Zeit.

Warum, wird man beim Lesen der zweiten Strophe fragen, ist das Haupt des Bären schwach? Und ist es nicht vielmehr die Geselligkeit als die freie Luft, welcher der Einsiedler sich entzieht? Es scheint also Str. 2, Z. 4 von Hagedorn lediglich aus Not hineingesetzt zu sein, damit das Endwort von Z. 1 (Kluft) eine Entsprechung (Luft) habe. Was Ramler dafür setzt, läfst sich wenigstens verstehen:

Er wählt sich eine Gruft, die fast sein Körper füllt,

Schläft hier und dehnet sich und wälzt sich auf und nieder,
Und meidet stets die Spur der Bären, seiner Brüder,

In eigne Dummheit eingehüllt.

Endlich liefs das Lehrhafte der in Str. 3 enthaltenen gedanklichen Abschweifung, durch welche die Erzählung unterbrochen wird, dem Kritiker die ganze Strophe störend erschei

nen, so dafs er sie wegstrich, Censorstrich tadeln?

und wer möchte ihn für diesen

Hiermit schliefsen wir unsere Wanderung durch die von Ramler zugestutzten Hagedornschen Fabeln, obgleich wir noch manche beachtenswerte Abänderungen und Verbesserungen des Original-Textes anführen könnten. Das Resultat unserer Betrachtung dürfte wohl darin bestehen, dafs wir im Verfahren Ramlers vielfach bestimmte Grundsätze aufgefunden haben, die wir zwar nicht alle billigen können, deren Befolgung aber im grofsen und ganzen den erzählenden Dichtungen Friedrich von Hagedorns zum Vorteil gereicht. So urteilend finden wir uns sogar mit einem Gegner der Ramlerschen Verbesserungskunst in Übereinstimmung. Eschenburg nämlich, der im Jahre 1800 die schöne Oktav-Ausgabe von Hagedorns Werken besorgt hat (Hamburg, bei Karl Ernst Bohn), sagt im vierten Bande derselben, nach einer mifs billigenden Kritik derjenigen Ramlerschen Änderungen, welche an den in den „Liedern der Deutschen" und der „Lyrischen Blumenlese" stehenden Hagedornschen Liedern vorgenommen sind, folgendes (S. 102-104): ,,Übrigens ist es bekannt, dafs die von Ramler in seine Fabellese aufgenommenen Hagedornschen Fabeln auf gleiche Weise behandelt sind. Meistens aber doch mit mehrerem Glück, weil sie minder eigentümlichen Tons und der Korrektion empfänglicher waren." Jedenfalls aber, mochte auch so mancher Änderungsversuch Ramlers als mifsglückt zu bezeichnen sein, gab das eifrige Durcharbeiten, welches jener fleifsige Mann fremden Dichtungen zu teil werden liefs, unseren Dichtern eine ernste Lehre, wie sie es mit ihren eigenen Schöpfungen anzufangen hätten, um dieselben zur Reife zu bringen, und bot eine treffliche Illustration zu dem Horazischen „nonum prematur in annum". Andererseits liegt darin ein Zurückweisen der Anschauung, welche eine gekrönte Dichterin unserer Zeit (Carmen Sylva) an den Tag legt in den Worten:

Sag nie zur trägen Stunde: Eile doch!
Der fröhlichen Sekunde: Weile doch!
Dem frischen Dichtermunde: Feile doch!

Schwerin a. d. Warthe.

Dr. Albert Pick.

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