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Reiters und der Kettentanz der Geister und ihr Grabgesang für die bereits abgeschiedene Lenore. - Fassen wir also den Gang der Handlung kurz zusammen, so beginnt sie mit dem Anbruch des Morgens; Lenore erwacht nach schweren Träumen: im Verlauf des Tages kehrt das siegreiche Heer zurück; es folgt das Zwiegespräch Lenorens mit der Mutter, ihre Verzweiflung und ihr Hadern mit Gott bis 11 Uhr Nachts; darauf der grause Todtenritt. Hat Bürger in dem Todtenritt ein Bild hitziger Fieberfantasien malen wollen, oder ist eine reale Grundlage in weiterm Masse anzunehmen, das sei dahingestellt; darüber kann kein Zweifel sein, dass die Idee des Ganzen in den Schlusszeilen des Gedichts enthalten sei:

Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht.

Der Grundgedanke ist sonach ethischer Art; der Tod tritt auf als himmlischer Rächer; er fordert ihr junges Leben als Opfer für ihre Verzweiflung und ihr Hadern mit Gott. Es ist nicht der Bräutigam, der im Tode wenigstens die Vereinigung mit der Braut feiern will, die ihm im Leben nicht vergönnt war.

Es erscheint somit, was die Behandlung des volksmässigen Stoffes anlangt, als charakteristisch, dass Bürger ihn mit Bewusstsein umgestaltet und zum Träger eines ethischen Grundgedankens umgeschaffen habe. Und will man überhaupt von einem Fehler dieser Ballade sprechen, so liegt er in der Willkür dieser Umgestaltung. Werfen wir nun zum Schluss noch einen Blick auf das Verhältniss der Lenore zu den Schiller'schen Balladen, so fällt in die Augen, dass in einem Punkte dieselben auf die Lenore als ihr Vorbild hinweisen, in einem andern weichen sie entschieden ab. Es ist nämlich gerade das eine charakteristische Eigenthümlichkeit der Schiller'schen Balladen, dass sie einen ethischen Grundgedanken zur Darstellung bringen, der in der Regel in der Dichtung selbst ausgesprochen wird. Aber Schiller hält sich, und dadurch unterscheidet er sich vom Dichter der Lenore, in der ganzen Weltanschauung streng an die Quelle, aus der ihm der Stoff zu seinen Balladen geflossen ist. Von der meisterhaften Form der Bürger'schen Dichtung, die mit Recht alle Bewunderung in Anspruch nimmt, habe ich ganz absehn zu können geglaubt; selbst Schiller in der bekannten, strengen Recension erkennt an die Schönheit

poetischer Malereien (dahin gehört namentlich die häufige Anwendung der Alliteration), poetische Kraft und Fülle, Sprachgewalt, Schönheit des Verses. Schiller bedurfte nicht eines Lehrmeisters im gewöhnlichen Sinne. Ihm war das hohe Talent verliehen, die Fülle idealer poetischer Anschauungen, die ihm im Herzen lebten, in das Gewand der Schönheit zu kleiden. Das aber ist Bürgers Verdienst, ihn zur Balladendichtung angeregt und damit eine Dichtungsart für immer eingeführt und zu Ehren gebracht zu haben, die vor andern die wichtige Aufgabe zu lösen hat, den in Geschichte und Sage verborgenen Schatz von Poesie in gangbare Münzen auszuprägen.

Coeslin.

Drosihn.

Viehoff oder Lewes?

Wenn Jemand zu jetziger Zeit über Schiller etwas schreiben wollte, so könnte sich das Publicum in einem gewissen Rechte glauben ihm zurufen zu dürfen: Moutarde après dîner. Denn wie intensiv ist in dem letztvergangenen Jahrzehnt die Beschäftigung mit Schiller gewesen und hat ihren populärsten Austrag in dem Weimarischen Feste vom Jahre 1857 und in der Weltschillerfeier 1859 gefunden! Die hohen Sympathien, welchen das erstere überall begegnete, sind bei dem letzteren in ausgebreitetster Weise zur That geworden. Nichtsdestoweniger ist das Publicum nur vielleicht momentan befugt, wenn es sich übersättigt erklärt von Schillerbüchern und Schillerreden. In Wahrheit werden wir es uns stets zur Ehre anrechnen, dass wir, wie das Ausland uns vorwerfend entgegenhält, einen förmlichen Schillercultus eingerichtet haben. Die Schillerfeier das ist genugsam erörtert wor

den

ist etwas mehr als eine bloss literarische Feier gewesen. Deutschland hatte, zur Wahrung der eigenen Würde, und namentlich dem Auslande gegenüber, das Bedürfniss sich als Nation darzustellen. Der Ausdruck dieses geistigen Manifestes knüpfte sich zwar nicht zufällig, aber auch nicht in Anerkennung voller Gültigkeit an die Person Schillers. Aus dem Xenienbunde der beiden grössten Dichter hatte das deutsche Volk die Verse nicht vergessen:

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Deutschland, aber wo liegt es? Ich weiss das Land nicht zu finden.

Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf."

„Zur Nation Euch zu bilden, Ihr suchtet es, Deutsche, vergebens.

Bildet, Ihr könnt es, dafür freier zu Menschen Euch aus.

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Archiv f. n. Sprachen. XXXI.

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In diesen von Kantischem Weltbürgerthum getragenen Versen vermissen wir das frische nationale Selbstbewusstsein, welches im Volke damals freilich mehr als schlief. Dessenungeachtet hat Schiller seine grosse nationale Bedeutung. Gerade an diese uns zu erinnern und dieselbe mit Liebe zu pflegen ist die wohl berechtigte Strömung unserer Zeit. Und was die literarische Seite betrifft, so findet der Forscher noch Einzelstoff genug, den zu durchdringen ein dankenswerthes Unternehmen ist; die neue, kritische Ausgabe des Schillerschen Textes von Seiten des Professor Meyer in Nürnberg wird manchen Anstoss zu weiterer Einzelforschung geben.

Wenn nun eine solche Vertiefung der Forschung bei Schiller gilt, wie ist es, wird man fragen, bei Göthe, der durch das Hervorheben Schillers in jüngst vergangener Zeit naturgemäss für das grössere Publicum in den Hintergrund gedrängt worden ist?

Die Zahl der Schriften auch über ihn ist Legion. Leider aber, wie die öffentliche Meinung sehr oft eine irrige zu sein pflegt, giebt man einigen den Vorzug, die ihn nicht verdienen, und lässt andere in Dunkelheit, welche vielleicht die Quelle der Berühmtheit von ersteren

waren.

Dies gilt vorzugsweise von einem Beitrag, den das Ausland uns geliefert hat und dessen Lob in der letzten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts leider gerade im Munde aller Deutschen war.

Es steht fest, dass Deutsche nach allen Seiten hin Göthe durchforscht und sich bestrebt haben sein Leben, sein Genie und die Producte desselben in wechselseitige Beziehung zu setzen. Um so betrübender ist es darum, wenn die mühevollen Arbeiten unserer Nation dem leichten und, wir gestehen es gern zu, gefälligen Werke eines Ausländers (ci-devant Schauspielers, wie wir hören) haben weichen müssen, aus keinem anderen Grunde vielleicht, als weil wir die Arbeit eines Ausländers vornehmlich anzuerkennen in uns die sonderbare Verpflichtung fühlen.

Wir meinen hier die Biographie Göthes von dem Engländer Lewes.

Sieht man näher zu, was den Ruhm derselben begründet, befähigt man sich durch ernstes Studium zu einem selbständigen Urtheil unparteiisch ist ja der wahre Deutsche von Haus aus so entnimmt man mit tiefer Trauer über die Bestimmbarkeit der Deutschen, dass ausser einer glatten Darstellung ein Vorzug, der auch den anderen Bio

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graphien keineswegs abgeht, die Arbeit des Engländers weit hinter den fast gleichzeitig erschienenen, zum Theil um fangreicheren, jedenfalls jedoch gründlicheren Lebenscommentaren von deutschen Autoren zu stehen verdient. Neben die sprüchwörtlich gewordene Gründlichkeit stellt sich bei den Deutschen noch der Vorzug einer philosophischen Durchdringung. Von einem philosophischen Geiste, der sich bemühte, Göthes Werke genetisch aus innerer Nothwendigkeit zu begreifen, ist bei Lewes so viel wie Nichts zu finden. Es ist ein Leben im Stile eines Romans. Er ist sich der Schwäche seines Werks wohl bewusst, er kann derselben jedoch nicht abhelfen, denn es fehlt ihm an der nöthigen, hier einschlagenden wissenschaftlichen Bildung. Die Art und Weise, wie er diesen Mangel zu verdecken sucht, wie er in verwegenster Weise um nicht einen schärferen Ausdruck zu gebrauchen, der eigentlich hier nur am Platze wäre aus der Noth eine Tugend macht, ist eines wahrheitsliebenden Engländers ganz unwürdig und auf seiner Seite um so ungerechter, je mehr er wissen sollte, wie viel er Denjenigen, die er herabsetzt, verdankt.

Auf letztere Bemerkung wollen wir näher eingehen.

Wir citiren nach der Uebersetzung von Frese, weil dieselbe dem deutschen Publicum am zugänglichsten sein möchte.

„Es gab noch kein Leben Göthes," sagt Lewes in seiner Vorrede, „als ich 1845 meins begann." Gleich darauf indess: „Seit mein Vorhaben bekannt geworden, sind zwei umfassende biographische Werke, von Viehoff und von Schäfer, erschienen. Viehoff erklärt in seiner Vorrede, die Ehre der deutschen Literatur gestatte nicht, dass ein Engländer der erste Biograph der Deutschen werde und um dies Aergerniss zu verhindern, habe er sich mit „,deutschem Fleiss und deutscher Treue" selbst an's Werk gemacht, und ein Buch voll Mühe und Arbeit geliefert."

Das sagt nun eigentlich, obgleich er es mit vollem Behufe hätte thun können, Viehoff nicht, und schon daraus lässt sich entnehmen, wie ungenau Lewes im Auffassen und Wiedergeben ist. Viehoff äussert sich in der Vorrede, die sich am Anfange des zweiten Theils befindet, nur folgendermassen:

„Das Säcularfest von Göthe's Geburtstage rückte heran, und noch verlantete von keinem der Schriftsteller unseres Vaterlandes, dass er sich anschicke, den Tag, der hoffentlich als ein Nationalfest begangen wird, mit einer Biographie des Gefeierten zu begrüssen. Da kam über

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