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Ueber französische Volkspoësie.

Ehe ich genauer auf meinen Gegenstand eingehe, scheint es mir nöthig, die Frage zu erörtern, was man unter französischer Volkspoësie zu verstehen habe. Sollte damit z. B. diejenige Poësie zu bezeichnen sein, welche unter dem Volke am gangbarsten ist, so wüsste ich nur einen französischen Dichter, dessen Liedern dieses Prädicat zukäme. In Deutschland schwärmt Alles bis zur Kammerzofe hinab für Schiller: eine französische Bonne, die nicht ihren Béranger auswendig wüsste, würde für ein Mädchen ohne Bildung gelten. Und doch kann ich mich nicht entschliessen, Bérangers Poësie Volkspoësie zu nennen: ich müsste denn dem Pariser beistimmen, der da behauptet, Paris c'est la France. Aber ganz abgesehen von der Misslichkeit solcher Aussprüche ich erinnere nur an den berühmten l'empire c'est la paix, oder wie eine andere Lesart besagt l'empire c'est l'épée, so sprechen die gebildeten Franzosen selbst Béranger meistens das Prädicat eines poëte ab; das Höchste, was sie ihm bewilligen, ist, dass sie ihn einen poëte-chansonnier nennen, gewöhnlich und richtig heissen sie ihn nur chansonnier. Ueber seine Verdienste als Politiker mag ich nicht aburtheilen, sondern bemerke von meinem subjectiven Standpunkte aus nur, dass ich es bedauerlich finde, wenn sogar die Poësie der Politik dienstbar sein soll: im Uebrigen scheint er es mir darauf abgesehen zu haben, Lisette und ihre Tugenden zu preisen und daneben seine piquette in Ruhe zu trinken. Sein Ehrgeiz war befriedigt durch die Kronen, mit denen ihn die Grisetten, oder wie sie sich lieber nennen hören, die étudiantes in der Closerie des lilas bekränzten; die

Literatur kann ihm eine Stelle nur als Vorläufer derjenigen Dichter anweisen, welche in den dames aux camélias das Ideal ihrer Verherrlichung gefunden haben.

Immer aber habe ich noch nicht auseinandergesetzt, was ich unter Volkspoësie verstehe. Um dem Ziele näher zu rücken, will ich darunter eine Gattung bezeichnen, die gar nicht unter die Literatur fällt, wenigstens von der Literatur in ihrer gegenwärtigen Gestalt verschmäht wird und mit Recht verschmäht werden muss.

Um die Sache anschaulicher zu machen, will ich einen Blick auf deutsche Verhältnisse werfen. Der gebildete Mann verschmäht es in der Regel, auf das hinzuhören, was das Volk singt; mit welchem Rechte freilich, lasse ich dahingestellt. Und doch singt das Volk mit Vorliebe seine eigenen Lieder, und zwar meist Lieder, die es nicht in der Schule mit der dazu gehörigen Melodie gelernt, sondern hauptsächlich von älteren Personen traditionsweise überliefert bekommen hat. Um ein recht anschauliches Beispiel von dem schauerlichen Unsinn zu geben, welchen derartige Lieder zuweilen enthalten, sei es mir vergönnt, eins mitzutheilen, zu dessen Kenntniss ich auf ziemlich abenteuerliche Weise gekommen bin. Im vergangenen Sommer nämlich hielt ich mich einige Zeit bei meinem Papa im Warthebruche auf und arbeitete meist in einer ziemlich versteckten Gartenlaube. Im Garten nebenbei war gewöhnlich eine ziemlich leidliche Bauerndirne beschäftigt, welche sich ihre Arbeit mit Gesang verkürzte. Es war immer dasselbe Lied, welches sie anstimmte, und da ich es ziemlich sonderbar fand, so horchte ich eines Tages der Sirene die Worte ab und war nicht wenig überrascht, folgende Romanze aufgezeichnet zu haben. Sie lautet wortgetreu:

Im Lande aller Frommen

Wohnt Fräulein Isabell,

Sie schoss mit Pfeil und Bogen
So gut als Wilhelm Tell.

Sie war sehr stolz, sehr spröde,
Sehr kalt bei Lieb und Scherz;

Drum war im Land die Rede,

Sie hätt' ein steinernes Herz.

Ein Held aus dem Gebirge,
Mit Namen Eduard,

Bei seiner Ritterwürde
In ihr verliebet ward.

Er schenkt ihr Papageien
Gekauft aus Niederland;
Er fängt, ihr zu erfreuen,
Einen schönen Wachtelhahn.

Er schenket ihr ein Füllen,
Dazu einen Ritterstrauss,
Aber nicht nach ihrem Willen,
Sie schlug ihm Alles aus.

Da nahm er seine Schöne
So zärtlich bei der Hand
Und weinte viele Thränen,
Indem er Lieb gestand.

O fühle meine Schmerzen!
Sprach er, ihr ewig hold.
Allein mit stolzem Herzen
Schwieg sie und ging davon.

Geh hin, Du stolze Schöne,
Dein Stolz wird Dir gereun,
Du wirst mich nicht mehr sehen,
Aber fühlen, meine Pein!

Einst ritt auf einer Schäcke

Die Närrin in den Wald:
Da sass an einer Hecke

Eine bärende Gestalt.

Und flugs gings in der Eile,
Toll war das kühne Weib,
Sie schoss mit ihrem Pfeile
Dem Unthier in das Leib.

Schnell wie die Wuth des Pferdes
Eilt sie zum Todten hin.

Da erblickt sie Eduarden
In der Bärenhaut gehüllt.

Er konnte nicht mehr sprechen,
Sein Auge brach der Tod.

Da warf er ihr noch im Röcheln
Ihr Unrecht zärtlich vor.

Sie schrie, sie weint', sie klagte,
Rauft sich die Haare aus,
Setzt sich aufs Pferd und jagte
Wie der blasse Tod nach Haus.

Dem Leichnam ward in der Schnelle
Ein stilles Grab gebaut

In einer finsteren Zelle,

Damit man es nicht schaut.

Und als sie nach zwölf Wochen
Vor Gram verzehret ward,
Begrub man ihre Knochen

Neben Eduardens Grab.

Ich will nicht in Abrede stellen, dass gerade dieses Gedicht eins der schlechtesten sein mag, die vom Volke gesungen werden. Dass aber unter derartigen Gedichten auch Perlen angetroffen oder wenigstens daraus ausgeschält werden können, dafür findet man den besten Beleg in Bürgers Lenore, in Göthes Erlenkönig, in Uhlands Wirthin und Töchterlein u. s. W., und was ausserdem noch die Melodien anbetrifft, in den vortrefflichen Sammlungen Erks und Anderer.

Dass also ein Kern und oft sogar ein Schatz ächter Poësie in solchen Volksliedern enthalten sei, wird kaum geleugnet werden können. Wie steht es nun aber mit dieser Volkspoësie in Frankreich? das ist die Frage, deren Beantwortung ich mir vorgenommen habe. Ehe ich mich aber in dieser Auseinandersetzung auf einen französischen Gewährsmann, der wirklich competent war, stütze, will ich, um seine Competenz desto evidenter zu machen, vorausschicken, dass er sehr genau, wie in unsere gesammte Literatur, so auch in unser deutsches Volkslied eingeweiht war. Wie schön hat er z. B. nicht den König von Thule im Metrum des Originals folgendermassen wiedergegeben:

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