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nünftige Mädchen, das sich einem Manne in die Arme wirft, thut, aufopfert und wozu es sich verbindlich macht: so scheinen mir die Pflichten eines gewöhnlichen Mannes gegen eine gewöhn liche Frau äusserst schwer; und wenn es nun gar ein Mäd

chen wäre, wie Du!

Lass uns also getrost unser Schicksal verbinden; wenn wir nicht glücklich würden, so wäre es eine höchst traurige Sache, ein Mensch zu sein. Wahl, Ueberlegung, Tugend und Liebe hülfen zu nichts. Aber sie helfen gewiss.

Am Montage bin ich gewiss in Deinen Armen, und ich hoffe, früh zu kommen.

Adieu, meine Beste, adieu, Mädchen oder Weib, Du bleibst ewig meine Geliebteste!

Dein Leisewitz.

Henri Murger.

Eine literarische Skizze.

Am 31. Januar 1861 bewegte sich durch die langen einförmigen Strassen, welche zu dem grossen Kirchhofe des Montmartre in Paris führen, ein einfacher, aber von zahlreichen Leidtragenden gebildeter Leichenzug. Er kam aus einem Krankenhause des Faubourg St. Dénis, nicht einem jener aus Gemeindemitteln oder der Privatmildthätigkeit erhaltenen Hospitale, in denen der Arme einen Zufluchtsort findet, sondern aus dem mit allem Confort, allem Luxus ausgestatteten Krankenhause eines bekannten Arztes, in dem nur bemittelte Kranke, welche daheim der nöthigen Pflege zu ermangeln glauben und sich der unmittelbaren Obhut des Arztes anvertrauen wollen, Aufnahme zu suchen pflegen.

Aber der, welcher diesmal in dem trefflich eingerichteten Hospitale Linderung in seinen letzten Leiden gefunden, und den die Freunde jetzt zur Ruhestätte geleiteten, war kein Reicher, es war ein armer Schriftsteller, Henri Murger, so arm, dass er von dem Tage an, wo das Schicksal ihn auf das Krankenlager warf, der öffentlichen Mildthätigkeit anheim gefallen wäre, hätten sich nicht auf die erste Nachricht von seiner Krankheit die Börsen aller seiner Freunde unaufgefordert geöffnet. Und er hatte zahlreiche Freunde in allen Kreisen, namentlich in dem, welchem er selbst angehörte, der Pariser Schriftstellerwelt, in diesem letzteren mehr als irgend ein anderer. Er verdankte diese allgemeine Beliebtheit, welche,

wie man behauptet, in Paris wie anderwärts in den Literatenzirkeln nicht übermässig vorkommen soll, seinem liebenswürdigen, bescheidenen Wesen, seiner, so lange er gesund war, unverwüstlichen Laune, dann aber wohl auch dem Umstande, dass seine Erfolge nicht gerade Veranlassung zum Neide geben konnten. Sein schönes Talent, das er durch Studium und Fleiss zu bilden bemüht gewesen war, hatte vielen Genuss und Freude verschafft, aber es war nicht bedeutend genug, Missgunst zu erzeugen; er hatte es zu keinem Werke gebracht, das gestaltend in die Entwickelung der Literatur eingegriffen und die Mitstrebenden zu Anhängern oder Gegnern gemacht hätte.

Mit diesen Worten habe ich ausgesprochen, dass diese kleine Skizze keinen andern Anspruch machen kann, als den, einen Schriftsteller zweiten, meinetwegen auch dritten Ranges vorzuführen, dessen eigenthümliches Talent, wie es sich namentlich in zweien oder dreien seiner Werke ausspricht, indessen doch der Beachtung derer nicht unwerth ist, welche die Entwickelung der französischen Literatur auch in einer Periode verfolgen mögen, die in der späteren Literär-Geschichte unserer Zeit allerdings im günstigsten Falle als Uebergangsperiode zu Besserem und Gesünderem gelten wird.

Henri Murger ist im Jahre 1822 in Paris geboren, er hat es also nicht auf volle vierzig Lebensjahre gebracht. Von sehr armer Herkunft erhielt er eine Erziehung, die kaum über den allergewöhnlichsten Elementarunterricht hinausging. Als ganz junger Mensch trat er als Schreiber (clerc d'étude) in das Bureau eines Avoué ein. Kurz darauf, in seinem siebzehnten Lebensjahre, wurde er einem reichen in Paris lebenden Russen, dem Grafen Tolstoy empfohlen, der ihn als Secretair und Vorleser in seine Dienste nahm. Der russische Graf, wie die meisten seiner Landsleute und Standesgenossen ein Liebhaber und Kenner der französischen Sprache und Literatur, nahm von Allem Notiz, was in jener Zeit auf dem Gebiete der schönen Literatur in Frankreich irgend bedeutendes erschien, und liess es sich von seinem Secretair vorlesen. Diese fortgesetzte Lec

türe regte den jungen Murger zu Studium der Literatur seiner Nation an und weckte das in ihm schlummernde productive Talent. Er begann mit lyrischen Gedichten und wagte sich dann an die Satire. Wir finden ihn in der zweiten Hälfte der dreissiger Jahre unter der Zahl jüngerer Schriftsteller, welche in Prosa und Versen gegen den berühmten Barthélemy, den einst so populären Dichter Frankreichs, bittere Angriffe rich

teten.

Barthélemy hatte mit seinem Freunde Méry, in. dessen Gemeinschaft er im Jahre 1828 das Epos, Napoléon en Égypte dichtete, welches allein beiden einen bleibenden Namen in der französischen Literaturgeschichte sichert, seine unter der Restauration mit glänzendem Erfolge gekrönten politischen Satiren auch unter der Julidynastie fortgesetzt. Als Herausgeber der Némesis schleuderten sie ein ganzes Jahr lang, Woche für Woche, ihre in Gift und Witz getauchten Pfeile gegen die Machthaber, mussten dann aber vor dem neuen Pressgesetz, welches selbst von einem in Versen geschriebenen Dichterblatte eine prosaische Kaution verlangte, die Waffen strecken. Plötzlich ging Barthélemy, als man ihm von ministerieller Seite annehmbare Bedingungen stellte, mit einer Schamlosigkeit in das Lager der Gegner über, welche allgemeine Entrüstung und jenen Sturm junger Satiriker - unter ihnen auch Murger erregte. Aber ihr Spott prallte ab vor dem stoischen Gleichmuthe Barthélemy's, welcher erst dann wieder zur Satire griff, als es mit der ministeriellen Gunst zu Ende ging. In neuester Zeit hat er dann seinen früheren dichterischen Lorbeern die Anwartschaft auf diejenigen zugefügt, durch welche die Nachwelt die Panegyriker des zweiten Kaiserreichs für die Lauheit der Zeitgenossen entschädigen wird.

Mittlerweile hatte Murger seine Stelle als Secretair bei dem russischen Grafen aufgegeben und sich ganz der Literatur gewidmet. Arm und unbekannt wie er war, ohne andere Hülfsquellen als sein Talent, konnte es nicht fehlen, dass er die ganze Stufenfolge der Enttäuschungen durchmachen musste, welche jeden jungen Schriftsteller und Künstler erwarten, der

sich in den Strudel einer Weltstadt stürzt mit dem naiven Glauben, die göttliche Muse gewähre ihren getreuen Anhängern das Vorrecht, die Anforderungen des gemeinen irdischen Lebens ungestraft ignoriren zu dürfen. Nach vergeblichen Versuchen für seine lyrischen Gedichte, unter denen - sie sind später im Druck erschienen so manche hübsche Lieder sind, einen Verleger zu finden, sträubte er sich lange Zeit mit der Kraft und Ausdauer einer Natur, welche fühlt, dass sie zu Besserem bestimmt ist, gegen die Erniedrigung seines Talents zum blossen Erwerb ohne höheren Zweck, musste sich endlich aber doch der Nothwendigkeit heugen und seine Feder und einen Theil seiner Zeit in den Dienst der Winkeljournalisten geben, nur um sein Leben zu fristen.

Die fabelhafte Existenz, welche ordentliche und ausserordentliche Mitglieder des zahlreichen Schriftsteller- und Künstler - Proletariats in Paris häufig führen, jenes Gemisch von Humor, Elend und Poesie, zu dem allerdings als erste Grundbedingung die Jugend gehört,

Dans un grenier qu'on est bien à vingt ans

nach Béranger's Refrain, dies Leben der Armuth, des Leichtsinns und der genialen Liederlichkeit, die aber das bessere Selbst nicht ersterben lässt, hat Henri Murger in drastischer Weise in demjeni gen seiner Werke geschildert, welches ihm zuerst einen Namen gemacht hat. Dasselbe erschien im Jahre 1848 und führt den seltsamen Titel „Scènes de la Vie de Bohême," was man etwa mit „Literarisches und Künstlerisches Zigeunerleben“ übersetzen kann.

In der Vorrede dieses Buches nimmt der Verfasser für die modernen Bohémiens keine geringere geistige Abstammung in Anspruch als die von den Sängern Joniens, den Homeriden. Für diese fahrende Sängerschaft giebt es durch alle Zeiten und Culturepochen hiedurch eine Art Continuität. Im Mittelalter, ineint er, sei sie vertreten „par les ménestrels et les improvisateurs, les enfants du gai savoir, tous les vagabonds mélodieux des campagnes de la Touraine; toutes les muses errantes qui,

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